#coronatagebuch


Ist es der vierte oder der dritte Lockdown Light? Der Vorstellungsbetrieb des WUK Theater Quartier ist nach nur einem Monat nach dem „Neustart“ in unserem Theatersaal wieder geschlossen und wir mussten unser 12. Spielzeitkapitel #melancholia unterbrechen, abbrechen.  Unser Kapitel #untertage ist verschoben auf Januar 2023. Unsere Köpfe sind voll mit sich überlagernden Gedanken, sie wollen nach außen. Daher nehmen Elsa Weise (EW), Mereth Garbe (MG), Tom Wolter (TW) und Nicole Tröger (TN), und ab dem 1.5.2021 unser neues Vorstandsmitglied Samuel Mager (SM) die Stifte in die Hand und führen wieder regelmäßig Tagebuch aus dem geschlossenen, aber nicht stillem WUK Theater Quartier.

07.12.2021

In Zeiten, in denen meiner Einschätzung nach vernünftige Leute nicht mehr ins Theater gehen, ist es nicht mehr vernünftig, ein Theater zu öffnen. Das ist trivial, aber bis vor kurzem waren diese Welten in mir noch getrennt. Inzwischen fällt alles zusammen. Dieser Winter wird anders als der letzte. Der Lockdown ist jetzt auch privatisiert. Die Pandemie ist nun nicht einmal mehr ein öffentliches Ereignis. Jeder macht seine eigenen Regeln. Es gibt keinen Leviathan mehr, der vorgibt, uns zu beschützen. Er klebt in einer spätpandemischen Paradoxie fest und weiß nicht, was er tun soll: Die, die weniger dürfen, machen mehr. Die, die mehr dürften, machen weniger. Aber wo ist die Mitte? Alles nur noch Privatsache. Das Virus ist wie eine persönliche Krankheit, die alle teilen. „Solidarität“ als Begriff ist wie eine Waffe, die ständig  blockiert.

Irgendwie will ich eh nicht mehr schießen, ich bin müde über diese ganze Menschenfeindlichkeit in mir. Ich will keine Waffen  bedienen, auch keine verbalen. Ich will die Leute besser nachvollziehen können, ich will verstehen, aber ich habe keine Lust mehr, zuzuhören.

Das Virus hat den Klimawandel überholt. Wir haben jetzt eine neue Jahreszeit: Den Winter. Jedes Jahr. Irgendwann werden wir uns auch daran gewöhnt haben, aber da bin ich noch nicht. Winter habe ich früher nicht gekannt. Dunkel, kalt, was solls, aber wenigstens war der Glühwein nicht geteert mit Moral und das verschneite Dorf nicht entzweigerissen in die einen und die anderen. (SM)

26.5.2021

Der Sommer rollt heran, im Tunnel gehen die Lichter an. Fehlt nur noch der Sommer. Erinnerungen werden wach an eine wirklich besondere Spielzeit in der Mitte des letzten Jahres. Konzerte ohne Tanzen, Publikum mit Maske auf, Maske ab, bitte setzen Sie Ihre Maske auf, vielen Dank, wir verstehen, dass das lästig ist. Schön, dass Ihr trotzdem kommt und, auch wenn ich nicht zum Überschwang neige, ich bin stolz auf Euch, stolz auf uns, irgendwie sind alle ein bisschen stolz aufeinander. Die Krise hatte noch Lack dran, die Welt gegen das Virus. Aber dann war doch vieles viel einfacher, als es in so einer Zeit eigentlich hätte sein dürfen, fast macht sich schlechtes Gewissen breit. Sich frei fühlen in spätpubertären Sommernächten, während so viele leiden? Abends Schicht und erst mittags Büro? Wieviel Privileg ist die Arbeit in einer Kulturstätte, wenn andere sozial aushungern? Und wieviel wird es die nächsten Wochen sein? Immer wieder in letzter Zeit aufmunternde Worte des Bedauerns von lieben Menschen, durchhalten, Ihr schafft das schon, die Kultur wird nicht sterben. Aber eigentlich muss ich doch den anderen solche Parolen schicken, die vor dem Rechner festhängen, die abends nur drei Leute treffen dürfen, während ich nachts von Proben und der kleinen Welt auf der großen Bühne träumen darf. Ich fühl mich fast unverschämt, wenn ich auf Arbeit gehe und da ist plötzlich alles voller Ideen und Lust und Begegnung. Der Sommer rollt heran, ich freu mich drauf. (SM)

02.5.2021

Es ist Sonntag, der 2. Mai. Mein Kopf ist leer oder sehr voll- voll und überladen. Es fällt gerade schwer das auseinander zu halten. Wenn ich genauer darüber nachdenke, dann ist es wohl doch eher letzteres, denn es passiert so viel in unserem Theater- von Leere kann da gar keine Rede sein. Die Arbeit wächst über die Köpfe, hat nie aufgehört trotz Pandemie oder vielleicht auch wegen. In den letzten Wochen entstand z.B. schon wieder ein neuer Raum. Unsere Zauberer Andi und Sven haben die „Bauernstube“ zum gemütlichsten Arbeitsort des Hauses verwandelt. Das Bleiglas-Imitat in den Fenstern wurde ersetzt. Nun können wir zumindest hier klar sehen, was hinter den Scheiben liegt- die Saale fließt und die Brücke steht! Die Patina der Bauerstube bleibt erhalten und doch laden wir den Raum mit etwas Großstadtflair auf. Denn: hier ist ab sofort die Geschäftsstelle des Netzwerk Freie Theater stationiert. Unsere Mitarbeiterin Sarah wechselt die Etage und ist nun Geschäftsführerin des Netzwerks- juhu. Weitere Neuerungen: Dank Neustart Kultur sind wir technisch beinahe wunschlos glücklich und haben eine komplette Bühnenausstattung für unser Sommerprogramm. Es kann los gehen- dürfen wir? Wir haben neue Mitarbeitende begrüßt und begrüßen weitere – Antje als Produktionsleitung und Patrick, der am 15.05.21 die Presse- und Öffentlichkeit übernehmen wird. Nicht zu vergessen Hannes und Polina, die mit der Projekt- und Bauleitung für die „Elfe“ beauftragt wurden- unserem jüngsten Zuwachs. WUK Ahoj! Schon seit Februar haben wir auch Alfred und Daniel im Boot- die unser Onlineprogramm #aufsendung betreuen. Es werden Anträge gestellt und neue Partnerschaften eingegangen und alte gepflegt, und dazu wird geprobt im Haus- mit Schnelltest vor jeder Probe. Ungefähr 100mal habe ich inzwischen den KollegInnen in den Rachen geschaut (wer hätte gedacht, dass wir uns so nah kommen) und Stäbchen eingeführt bis zum Würgereflex und Stäbchen ausgedrückt und Tropfen auf Testpaletten geträufelt und gewartet – mein neues Warm Up- Programm. Eine Prozedur, die wir gern in Kauf nehmen, wenn so die künstlerische Arbeit fortgesetzt werden kann, wenn so künstlerische Begegnung stattfinden kann mit den KollegInnen. Das WUK Theater Quartier pulsiert- lebt von den Tätigen, von einem tollen Team das nicht verzagt! Tolles Team, tolle Menschen, toller Tom, tolle Mereth, tolle Alle! Es geht weiter! In den nächsten Wochen wird die Arbeit am Außengelände beginnen, umgestaltet, Gräben geschlossen, gebaggert und modelliert, denn wir sind natürlich weiter optimistisch. Der Sommer WIRD kommen und dann gibt es ein Spektakel! Die Sehnsucht danach ist groß. So groß wie die Ungewissheit, die das Hirn und die Freude über Gelungenes vernebelt. Bei allem Optimismus steht da auch die Frustration, die Frage nach dem WANN und OB und WIE. Die bittere Erkenntnis, dass wieder Produktionen über Bord gehen, die im Mai Premiere feiern wollten, ersehnte Gastspiele wieder einmal abgesagt werden. Jede Woche Zoom mit den KollegInnen, jede Woche die gleiche Diskussion zu Öffnungsszenarien, aktive und passive Strategien zur Schließung des Theaters, destruktiv vs. konstruktiv- Vorwürfe an uns selbst, die niemals so gemeint sind, sondern Ergebnis eines Jahres Ausnahmezustand der eben auch deprimiert. Neben allem was da ist, fehlt es auch. Es fehlt! Und wahrscheinlich ist das dann die überladene Leere im Kopf. Ich schau aus dem Fenster: für heute bleibt Regen. Morgen soll es lichter werden, sagt der Wetterbericht. (NT)

01.5.2021

Wenn ich an Arbeit denke, denke ich an Arbeiter. Bilder verschiedener Gleicher, auf den Straßen, in Gemeinschaft, so die romantischen Fotografien. Zusammen etwas schaffen, gemeinschaftlich für etwas eintreten, nicht stumm dienen, sondern wachsam sein. Uns verbünden für ein Ideal. Für etwas, das wir uns wünschen. Heute kuddeln alle Meinungen derart durcheinander, dass eine dauergespaltene, höchst (das betone ich gern und oft) priviliegierte Gesellschaft sich in unendlichen Kommentarspalten in einem Zustand von Dauererregung befindet. Und maßlose Skepsis an den Tag legt. Permanente Angst in Löcher zu tappen, Fallen der Regierung nicht zu erkennen, Regeln und Empfehlungen derer als Gefahr anzusehen.
Das macht mich traurig. Vertrauenslose Zeit. Gibt es das Wort? Vertrauenslos? Vertrauensvoll, vertrauensselig. Ach wie gut würde das tun! Vertrauen zu haben. Zumindest so viel, dass man von focusverschiebenden Theorien Abstand hält. Was uns stärkt ist Solidarität! Uneingeschränkte! Auf dass ich noch mehr Phrasen dresche. Aber heute ist das das Thema. Am Tag der Arbeit. (EW)

Tag der Arbeit. Früher ein Anlass, sich über die Stadtkarte zu beugen und zu schauen, welchem Demonstrationszug ich mich anschließe. Aber auch der Protest hat seine Unschuld verloren. Eigentlich ja richtig so, keine Demofolklore mehr und echtes Bekenntnis, aber wer bekennt sich wozu?

Schauspielende, die von „Mainstreampresse“ reden, machen mir Angst. Ich glaube, dass Theater feiner beobachten muss und sich nicht nur hinter der Provokation verstecken kann. Wozu also am heutigen Tag bekennen? Zum Wert der Arbeit? In der letzten Zeit lerne ich eine Arbeit schätzen, die auch stattfinden kann. Die nicht nur für ein Regal produziert, sondern für ein Publikum. Aber dann gibt es noch die andere Arbeit, die nur behauptet wird. Die nur abverlangt wird von einer Gesellschaft, in der ein Mensch nur im Spiegelbild des Schaffens ruhen darf. Diese Arbeit macht mir keinen Spaß, gegen diese Arbeit will ich protestieren. Arbeit bemisst sich für mich nicht an Stunden oder an Sätzen, sondern an der Vorfreude auf das Ergebnis. Das Dilemma, welches unter unseren Öffnungsszenarien liegt, ist nicht mehr nur organisatorische Sachfrage, sondern legt bei uns allen in den Köpfen den Schalter um. Zwischen Sehnsucht nach dieser Vorfreude auf der einen und Angst vor der eigenen Unvernunft auf der anderen Seite. Hin und her, wie ein Lichtschalter, den ein gelangweiltes Kind bedient. Lass es an oder machs aus, aber das Geflacker nervt. (SM)

15.3.2021

Zoom.
Ein Jahr ganz nah, lehnt sich an, stumm. In Wasserfarben verschwommen, Striche, verblichen, farben laufen, ungerichtet, triefend, ineinander. Ein Jahr ganz nah. Brach liegend. Unter dem Vergrößerungsglas. In Fühmanns Jackentasche den Weitwinkel versteckt, schlendern, schlurfend, erinnernd, dass es Wege gibt, die in Orten münden.

Zoom. Ein Jahr ganz nah. Toom. Hat wieder offen. Das Ende des Kreises. In naher Ferne springt. Der Mittelpunkt. Jeden Stein umgedreht, angeschaut, an seinen Platz gelegt. Nach vorn. Weiter. (EW)

13.11.2020

Zoom von 10-20 Uhr – ich habe seit einer Woche Angst davor. Und Lust drauf. Und weiß nicht recht, was mich erwartet. Wie interagieren wir digital mit unserem Publikum? Damit es wiederkommt? Es. Was? Es. Es. Was? Wie binden wir Menschen der Stadt in unser künstlerisches Schaffen ein, wenn sie nicht zu uns kommen können? Und sie keine Hardware haben? Der Neue Mensch hat allesinsich. Ratatatapling. Bist du zu alt für diese Welt? Oder zu arm? Es gibt die etablierten Häuser mit einem Fundus aus Streams und Teams. Es gibt ihre großen Räume, die meistens leer bleiben. Ungenutzt, weil die Prioritäten woanders liegen. Ungeputzt nicht. Weil geprobt wird. Gut so. Auch bei uns. Es gibt die armen Häuser, die eine Verschnaufpause ausschlagen und weitermachen. Heimlich. In ihrer Freizeit. Das ich nicht lache. Wer sagt denn sowas? Das dürfen die doch gar nicht, ist verboten. Ist Arbeit. Achso, na dann. Rühren. Ich bin ein Zahnrad im Getriebe und öle mich selbst. In der Sonne, die nicht da ist. In der Pfanne, die nicht warm ist. Pause zuende, Kopfhörer auf. Hirn an. (MG)

11.11.2020

Ich liege im Bett. Ich gleiche einer Litschi, einer geschälten, gequetschten. Mein Gesicht sieht aus, als hätte es von sich selbst eine Karikatur gezeichnet. Die eine Backe ist blau bis grün. Die andere dafür so fett, dass sie nach unten über den Kiefer hängt. Gestern war Videokonferenz mit den Kolleginnen und Kollegen. Da ging’s noch, da hatte ich am Tag noch genug gekühlt, damit ich mich nicht so bemitleiden lassen musste. Aber sobald man das auslässt, bekommt man die Quittung. Kommt Quitte eigentlich von Quittung, denke ich und sehe mein zermatschtes Obstgesicht beim Rausgehen im Flurspiegel. Ich könnte ja heute noch Apfelmus quetschen, jetzt, wo ich so in obstlicher Stimmung bin. Aus den Spätherbstäpfeln vom Feld. Ich könnte in die Gartenanlagen gehen und die Gefallenen retten. Die Maske kommt mir ganz recht gerade. (EW)

09.11.2020

Der Geburtstag ist vorbei. Keine Zeugen, kein Toast, keine Premiere, kein Ausreden. Etwas Requisiten-Wurst mit Senf und Brötchen. Etwas Kuchen zwischen Tür und Angel. Mit Mütze auf. Und Jacke… die schönsten Momente im Haus…und Deine? Ich muss los. Wir sehen uns. Und dann lag das Haus einsam und verlassen. Lichterkette auf 18 Uhr. Katze im Quadrat. Was soll ich dazu sagen? Ich will keine Windeln mehr. Und weniger Hinfallen. Aber Trotz und Wasser sind angemessen?! 3 Jahre und ich kenne nur einen Bruchteil von Schweiß + Tränen. Gestern war ich weg. Schließung als Chance. Raus in den Wald. Ohrenbetäubendes Laub, frostweiße Wiesen und bunte Baumkronen. Stink-Schiefer, Rehe, Hirschläuse, Hexen auf Rädern, Lehm-Klumpen-Füße, Pilze in der Pfanne und eine Nacht, die dann doch ertragbar war. Meine Zehen haben es schon wieder vergessen. Die Menschen der Landwirtschaft haben selten Urlaub. Außer es ist jemand da und übernimmt. Wie bei Menschen in Armut? Oder es ist Winter und die Felder können allein bleiben. Wie in Familien? Zuerst die Tiere, dann ich. Guten Morgen, Katze. Du hast’s gut! Ab jetzt wird’s kalt und nass. Was hatte ich für ein Glück! Aber keine Zeit zu ernten, jetzt heißt es pflügen und säen, damit wir im nächsten Jahr finanzierte Projekte zum Leben bringen können. Anträääge… Ich könnte ein Lied davon singen, aber will nicht. Zum Glück sind es Fördertöpfe, wo die Menschen um Know-How, Potential und Situation der Antragstellenden wissen. Das macht’s leichter. Auch mit den Formularen. Was ist das eigentlich für ein Wort? FooooorMuuuuuLaaaaaaRrrRRrrrRr. In Formen pressen. Wir versuchen aufzubessern. Dem Wachsen unseres Hauses auch monetär gerecht zu werden. Versuch, weil es doch unklar bleibt, was bewilligt wird. Wir gehen in ideele Vorleistung und das nervt! Es ist dunkel und frostig draußen. Das Bürolicht zu hell für Gemütlichkeit und die Art von Kreativität, die es manchmal braucht, um künstlerische und experimentelle Vorhaben knackig und verständlich rüberzubringen. Labore der Zukunft…HuuuUUuUUUuu. Sexy Einleitung, hat mal jemand gesagt. Hat das auch mal jemand gedacht – beim Prüfen? HmmmHHmmmmmMMmmmMm. Dadada… No Filter. Danach Kaffee + Kippe. (MG)

07.11.2020

Demokratie in der Videokonferenz. Dauert. Sehr lange. Oder kommt mir zumindest so vor. Ein richtiges Gespräch erscheint gebundener, zielorientierter. Aber vielleicht, nein, sicherlich ist es Gewöhnungssache. Heute haben wir uns virtuell mit P&S zu WUNDEN verabredet. Damit jeder dran kommen kann in unserem zehnköpfigen (und es waren NUR zehn) Chat, macht jeder sein Mikro aus und jemand beginnt zu moderieren, wer reden darf. Ob man dann schon reden wollte oder sich ausreichend gesammelt hat oder lieber zu einem anderen Punkt was dazwischen gequatscht hätte – ebendiese Gepflogenheiten bringen schnell die Konferenz durcheinander. Ich kann mich besser konzentrieren, wenn die Bildschirme aus sind und man nur einander hört. Wie telefonieren. Muss ich mich altbacken fühlen, wenn ich mich ohne Bildschirm einer Person näher fühle? Nun denn, ich bin geduldig und lasse mich eines besseren belehren. Bis zur nächsten Videokonferenz: Die Tortenaktion zum 3. Geburtstag des WUK. Wir verabreden uns zur Online-Ideenentwicklung. Nach vier Stunden  haben wir es geschafft eine Minute Videoschnipsel zu kreieren. Nicht, dass wir nicht noch andere Themen hätten, aber da wir meistens fünf bis fünfzig Ideen gleichzeitig verwirklichen wollen, muss man dann noch die Zeit erfinden mit der ersten anzufangen. Und dann die langsame Online-Kommunikation, die trotz schnellstem Netz die Intuition nicht durch die Leitungen schießt. Was sag ich. Es bleibt ungewohnt. (EW)

05.11.2020

Das Haus kühlt aus. Heute wären Schulklassen zu uns gekommen, hätten „1989“ angesehen und sich mit dem Ensemble um Martin Kreusch über ihre Theaterarbeit unterhalten und darüber, wie viel doch Geschichte immer Gegenwart ist. Über Erinnerungskultur und besseres Zusammenleben. „Vielleicht ist ja morgen schon alles anders“. Ich habe mich darauf gefreut. Das Hygienekonzept war gut. Der große Aufwand, die Kohorten sicher auf ihre Plätze zu bekommen, wäre es wert gewesen. Dass wir ausverkauft waren, ist bitterer Nachgeschmack, aber nicht Kern unserer Arbeit. Arbeit, jawohl! Sachsen-Anhalt hat Darstellendes Spiel noch nicht im Lehrplan und es bleibt engagierte AG. So wichtig ist es dann, dass Klassen ins Theater kommen. In anderen Bundesländern muss! DSP im Angebot sein und kann im Abitur geprüft werden. Nicht relevant, heißt es hierzulande. Nicht bewertbar. Keine ausgebildeten Lehrkräfte dafür…Oh, sie sind da. Und sie kämen. Warum in die Spree spucken, wenn ich in die Saale springen kann? Mittlerweile. Weil ich die Chemie-Schaumkronen der Achtziger nicht kenne. Die toten Fische. Ich bin gern in dieser Stadt. Wo war ich? Die performativen Künste, so flüchtig sie auch sind… Ach, Tagebuch für die Echokammer, die weiß, dass Kunst ein Medium für den langfristigen Wissensaustausch ist, für den Selbstausdruck, Hand und Fuß hat und nutzt und selber fühlen, erleben und ausprobieren lässt: Gemeinsam in Echt-Zeit. Und jetzt? Hat so vieles wieder zu. Menschen mopsen sich gleichzeitig. Wäre die Kulturpolitik zukunftsweisend und präventiv statt re-aktionär hätten wir Raum und Ressourcen, um weiterzumachen und aufzufangen… Habe Sonne im Gesicht. Sitze noch draußen am Laptop. Es ist eine scheinbar glückliche Zeit für Mensch mit Hund… Für andere ist es eine Angst besetzte: eben nicht auf den Hund zu kommen. Und für die Akteure, die Stillgelegten, ist alles für die Katz. Wie Stollen. So einfach? Wenn das Madame Kurt Wabbel wüsste. Wann holen sie sich die Bühne zurück? Wie lange lassen sie das mit sich machen? Für alle ist es eine Choreographie des Stillstands und der Überforderung. Wer macht mit? Wer sieht zu? Wer will? Wer muss? Wer kann bei uns probieren? Wer darf nach der neuen Verordnung? Die letzten warmen Tage stehen bevor. Die Katze weiß das und lässt sich nicht blicken. Zaungäste ziehen Spielpläne zu Rate, die ihre Gültigkeit verloren haben. Ich fühle mich schlecht, wenn die Gedanken zu den Einsamen wandern. Die ich zu erkennen wage, wenn ich durch die Stadt fahre. Die ich nicht sehe. Die ich nie sehe. Wie einsam sind die Menschen vor unserem Zaun? Und hinter? (MG)

03.11.2020

10 bis 16 Uhr. Probe. Für SISTERS. Steht drin. Im- unser aller -Kalender. In den Programmheften. Auf den Bannern. In drei Tagen wäre Premiere gewesen. Es wäre aufregend geworden, energiegeladen, aufwühlend. Wir waren in froher Erwartung, was da kommen möge, der kurzen Probenzeit zum Trotz. Gerade wegen all der Dinge, die wir nicht schaffen konnten, wollten wir die Dinge, die wir ERST RECHT nicht schaffen konnten noch VIEL LIEBER machen und mit voller Wucht und Feuerwerk in den Abend ziehen. Brachial ein neues Brett in den Bühnenraum hinein schmeißen. Wumm! Voll Inbrunst. Heiß! Die Brust, die Brüste. Nebel, billige Tricks und teure Bilder, Stürme und Fluten gefühlter Wirklichkeiten. Das Gefühl, dass Zu- und Durchlässigkeit alles bedeutet, mutig sein, viel vom Heute nehmen um das Gestern zu belehren. Aufrecht. Aufrichtig. So sollte es sein. Viel von vielem und genug vom Einheitsbrei, den ich Antragstellung, Abrechnung, Organisation, Planung und Prioritätenüberlagerung nenne. Der Theaterbetrieb verlangt einen betriebsamen Theatermenschen. Wir arbeiten als freie in selbsterhaltenden Strukturen und das back up schenken wir uns wenn dann selbst. Jetzt heißt es Online sein. Wir sitzen. (EW)

Sonntag, 17.5.2020 Tag 66

Wir treten auf der Stelle. Wir treten so lange auf der Stelle, bis der Startschuss wieder erklingt. Dann rennen wir wieder. Um zu gewinnen. Wir stellen uns dem Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Um Wirkung. Um öffentliche Gelder. Um private Gelder. Wir rennen, um Zuschauer zu erreichen. Um sie zu unseren Veranstaltungen zu locken. Wir wollen alles auf einmal.

Unsere eigene Unmündigkeit ist bitter. Unsere Abhängigkeit ist brutal spürbar. Wir schreien nach Hilfe. Verpackt in schöne Worte und eckige Töne. Gerechtigkeit. Freiheit. Kunst. Systemrelevanz. Kultur. Diese Abhängigkeit ist nicht ohne. Nicht ohne Pflichten. Uns selbst gegenüber und unseren Nachbarn. Unseren Partnern. Unseren Gästen. Was machen wir mit der Freiheit, die uns jetzt nicht arbeiten lässt. Was erschaffen wir morgen? Wir wollen eine Festung bauen. Uneinnehmbar. Und wollen nackt auf dem Markt tanzen. Unsere Wunden zeigen und dadurch nicht mehr bluten. Wir wollen es nicht den anderen überlassen, über unsere Zukunft zu entscheiden. Wir wollen selbst sein und nicht durch einen Hygieneplan über eine Bühne gehen müssen. Wir wollen solidarisch sein und dennoch die eigene Freiheit nicht aufgeben. Wir suchen in einem Probenraum nach der Existenz von dem Moment, der alles erklärt. Der alles vereint. Der alles verweigert und alles ermöglicht. Vielleicht sind wir zu nah. Uns selbst. Wir werden graben. In die Tiefe. Entfernungen: „DIE WELT NEU VERMESSEN!“ (TW)

Dienstag, 12.5.2020 Tag 61

Ich schaue mir das Video, die Homestory von Helge Schneider an.

Es wirkt traurig. Neben der ausgeschalteten Bohrmaschine. Ist es nicht. Auch wir sprechen im WUK Theater Quartier über die Nichtmöglichkeit, die Undenkbarkeit von Ereignissen, künstlerischen Momenten, Begegnung mit Publikum unter Auflagen zur Hygiene zum Schutz vor Infektionen.
Ich weiß, dass einige Schreckenszenarien im Hirn haben. Unarten der eigenen Angst. Andere haben Ideen zur eigenen Wichtigkeit und fallen fast um vor Rechthaben und Aufgeregtheit. In diesen Zeiten. In den kommenden Wochen. Monaten.
Für mich hört sich Helge Schneider so an, als ob er dies sagt, damit er nicht jeden Tag im Kopf in den Kampf zieht. Für den nächsten Auftritt. Er mag nicht kämpfen, denn dieser Kampf wäre nur Sturheit. Helge ist nicht stur.
Ich höre Helge zu und denke, ja, so müsste man es machen. Warten, bis das nächste Schiff anlegt. Und nicht gegen die Wellen anschreien und am Ufer hin und her laufen. Und sich nicht auf diejeinigen einlassen, die da rufen, lauf doch auf den Steg hinaus. Da kannst du auch singen und tanzen. NEIN, es braucht das Boot. Hochseetauglich. Und kein Sanitätsfloss. Keine Seile am Ufer… Naja, wie stets, jedes Bild hinkt…
Ich wäre gern Helge. Und weiß, dass ich nicht Helge bin. Und weiß, dass wir, dass ich anderes überlegen werde, muss.
Ich denke nach. Dahin. Dorthin. „Ein Schiff wird kommen!“ vielleicht bau ich mir eins… (TW)

Sonntag, 3.5.2020 Tag 52

Sonntag. FREI habe ich beschlossen.  Gestern sendet Tom uns die neuen Verordnungen des Landes zu Corona. Lockerungen ab Montag. Jetzt dürfen sich 5 haushaltsfremde Personen mit Abstand draußen treffen. Die Geschäfte öffnen wieder unabhängig von Fläche usw., Museen, Bibliotheken öffnen und Theater bleiben geschlossen! Schöner Sonntag. (NT)

Donnerstag, 30.4.2020 Tag 49

Gegen 10.30 Uhr fahre ich mit dem Fahrrad am Landesverwaltungsamt vorbei. Ich erinnere mich, dass mir auf meine Email: Warum das WUK Theater Quartier auch dieses Jahr von der Landesförderung ausgeschlossen ist bzw. was wir noch tuen könnten, um von Landesinteresse zu sein, immer noch niemand geantwortet hat.  Vier Wochen ist das jetzt schon her. Vor dem Amt stehen Menschen und streifen ihre Maske über. Ich finde das Bild immer noch skurril. Für mich entsteht eher der Gedanke von Angst vor Ansteckung als Schutz vor Ansteckung. Wobei sich das ja nicht ausschließt. Aber so muss es eben jetzt! Ein paar Meter weiter befindet sich der Teilautoparkplatz, da muss ich eigentlich hin. Ich freu mich, in den Transporter zu steigen und durch die Stadt zu rollen. Ablenkung vom Büroalltag. Im Rahmen unserer großen langwierigen Aufräum-Aktion im Theater, mache ich heute eine Tour zum Wertstoffhof. Wo Wände fallen, gibt es Dreck. Und der muss weg! Als ich wieder ins WUK komme, besprechen und planen Gerda und Tom Gestalterisches (nehme ich an, ich habe nur ein paar Worte aufgeschnappt und warte auf den Bericht). Tom hat später die erste Online-Probe mit dem Studierendentheater. Ich wäre gern dabei, oder würde gern lauschen, aber aber…außerdem muss ich das Teilauto zurück bringen. Mit dem Fahrrad fahre ich wieder vorbei am Landesverwaltungsamt. Es beginnt zu regnen. (NT)

Mittwoch, 29.4.2020 Tag 48

Ich bin im Theater. Ich könnte. Das genügt. Muss genügen. Ich könnte jetzt hochgehen in den Proberaum und proben. Ich könnte. Ich könnte auch.

Florian Hein kommt in den Hof, mit Abstand. Wir besprechen die geplante und doch irgendwie in den Sternen stehende Arbeit „Der Wille des Volkes“, welche wir im Oktober zur Premiere bringen wollen.

Und Florian hat seine kleine Tochter dabei, diese fragt mich: „Wo ist euer Spielzimmer?“. Gute Frage. Wo befindet sich im Moment unser Spielzimmer?

Wir tauschen uns aus und ebenso wie in Halle steht vieles auf Null auch in Berlin.

Noch sagen wir nicht ab, noch sagen wir nicht zu. Im Augenblick bereiten wir etwas vor. (TW)

Montag, 27.4.2020 Tag 46

Wieder ein Tag am Rechner. Und der erste Tag zu zweit im neu eingerichteten Büro, natürlich mit ordnungsgemäßen Abstand zwischen den Arbeitsplätzen. Tom hat letzte Woche das Büro neu eingerichtet samt neuem Rechner. Wenn ich den PC nun hochfahre, dauert es höchstens 30 sec. bis ich die ersten Zeilen tippen kann. Verrückt ist das. Ich schaffe es gerade so, mir einen Kaffee in die Tasse zu gießen. Ein Antragsformular auf dem Desktop, ich arbeite! Zwischendurch trudeln schon wieder zwei neue Bewerbungen für den Freiwilligendienst ein. Schön ist das einerseits und doch weiß ich noch gar nicht, womit wir die motivierten Menschen beschäftigen sollen, bzw. ob/ wann wir beschäftigen können. Am Nachmittag gibt es Kuchen! Wir schleichen uns langsam an die vermisste Routine, denke ich und schaffen Neue. Zur Neuen gehört z.B. das Summen der Schleifmaschine, die weiter im Saal am Parkett wetzt, fehlen nur die Hammerschläge auf Stein. Der erste Container ist schon voll, die Räume werden größer, das Haus öffnet sich wieder ein bisschen mehr- von Innen heraus. (NT)

Freitag, 24.4.2020 Tag 43

10.30 Uhr habe ich eine Videokonferenz mit Elsa und Tom. Wir bringen uns kurz auf den neusten Stand zum Haus, Prioritäten usw. Die Woche war lang bis hierher. Ich fühle mich kraftlos und habe das Gefühl allmählich meine Struktur zu verlieren. Was genau ich damit meine, weiß ich auch nicht. Ein bisschen ist es wie in einem dieser Träume, in denen man rennt, aber nicht von der Stelle kommt. Ich bin unzufrieden und ich bin langsam im Kopf. Oder ich bin langsam im Kopf und darum unzufrieden. Selbst beim kreativ sein, bauen sich Mauern auf. Die Abwechslung fehlt! Vielleicht ist es auch das Fehlen von sichtbaren Ergebnissen der Arbeit. Ein abgespeichertes PDF auf dem Rechner, setzt eben weniger Energie und Wohlgefühl frei als z.B. ein Loch in eine Wand zu schlagen! Nach einer zweiten Videokonferenz am Abend mit Tom und Mereth und Absprachen über Antragsstellung geh ich nach Hause, immer noch unzufrieden mit dem Tagwerk und unzufrieden über das Unzufrieden sein. Darum beschließe ich auf dem Nachhauseweg für den Rest der Woche keine PDFs mehr zu speichern und stattdessen Wände einzuschlagen oder zumindest die eine im Kopf! BRUCH! Jetzt ist Wochenende. (NT)

Donnerstag, 23.4.2020 Tag 42

Ich hadere mit mir in diesen Tagen. Verantwortung führt zu Verdruss. Vernunft führt zu Solidarität. Solidarität wieder zu Vernunft. Bin gefangen in den Fragen, die sich stapeln. Wann? Wie? Was? Auch- Wie lange noch? Die Fragen stellen sich, ohne Aussicht auf abschließende Antworten. Wann beginnen wir mit Proben, mit Vorstellungen, mit Werkstätten, Treffen, Gesprächen, Begegnungen ohne Plan und Begegnungen voller Plan und Ziel.

Wie begegnen wir uns in der Arbeit, wie mit unserem Team, mit den Anderen, den Gästen den Personen, die mit Idee und Lust und Fragen zu uns ins Theater kommen. Wie treffen wir auf unsere Gäste. Für die wir denken, zu denen wir hin wir arbeiten. Erst in einer Fiktion, einem Wunsch: Dass die Gäste aus dem Nichts auftauchen, zu unseren Vorstellungen erscheinen; unserer Arbeit dann den Sinn geben. Mit der Konkretheit ihres Da- Sein geben die Zuschauenden durch ihre Anwesenheit dem Augenblick ihren Sinn. Sie sind es, die durch ihre Anwesenheit aus der Behauptung von Ereignis ein Ereignis machen.

Was ist jetzt zu tun. Was sind die nötigen Entscheidungen. Ein Theater braucht den Plan, den Spielplan, den Probenplan, den Arbeitsplan. Vorstellung braucht Vorbereitung, Vorbereitung braucht Zeit und Zeit braucht Idee. Was ist die Idee. Will ich alles in Frage stellen, oder kann ich mich auf unsere bisherigen Erfolge, Arbeitsweisen und Verabredungen aufstützen. Diese anwenden. Diese fortsetzen. Werden wir zum Tag X fortsetzen, was wir in den letzten drei Jahren aufgebaut haben mit einem starken Team hier im WUK Theater Quartier. An einem Tag treiben mich aus einer Art von Trotz die schon im Dialog seienden und begonnenen Projekte. Im nächsten Moment räume ich den Tisch leer und beginne neue Modelle, Themen, Herangehensweisen nebeneinander zu ordnen. Verwerfe dann beides und sehne mich mit geschlossenen Augen in den Probenraum. In den virtuellen Raum. In den Probenraum. Auf die Bühne.

Ich erinnere mich an 1989. Ich begann mein Schauspielstudium im Herbst an der Schauspielhochschule Hans- Otto.  Alle waren so fixiert auf das Grundlagenseminar, die Entdeckungen, den Beginn einer für viele langersehnten Ausbildung. Draußen, außerhalb der Villa wurde demonstriert, diskutiert, der Staat neu gedacht. Stattdessen rollten robbten junge Menschen um ihrer selbst willen im Kreis. Sensibilisierung war das Zauberwort. Durchlässigkeit. Stimme. Sprache. Bewegung. Brecht. Und ich erinnere mich dann an das umfassende Desinteresse an der Fiktion, dem umfassenden Desinteresse an Theater in den Monaten ab November 89 bis in den Herbst 1990. Ist das jetzt wichtig. Theater? Kultur. Kunst. Ich spiele gern. Ich erzähle gern Geschichten. (TW)

Dienstag, 21.4.2020 Tag 40

Es wird über den möglichen Wiedereinstieg in Veranstaltungsumsetzungen gesprochen. Wir wurden angeschrieben, ob wir die vorgeschlagenen Maßnahmen für umsetzbar halten z.B.: Mundschutz beim Proben und während der Vorstellungen, Desinfektion überall, gestaffelte Einlasszeiten, weniger BesucherInnen, ausbleibende Einnahmen bei höherem Mehraufwand aufgrund der Vorbereitungen, gelten Abstandsregeln auch für Spielende, wer zahlt das alles – also den Mehraufwand bei Proben und Vorstellungen, wie viel muss eine Eintrittskarte kosten, um Mehraufwendungen zu finanzieren, wollen wir so Theater machen… frag, frag, frag – geantwortet wird später! (NT)

Montag, 20.4.20 Tag 39

Merkwürdige Tage. Fehlende Orte. In Videokonferenzräumen gefangen. Man spricht miteinander. Einem Wunsch folgend nach Aktivität, Verantwortung und Mitgestaltung. Heute wirkt dieses Sprechen miteinander wie ein „auf der Stelle treten“ – bis die Milch zur Sahne wird.

(( Auch weil unsere „existenziellen“ Probleme luxeriös oder abgehoben wirken und unsere Solidarität an der nationalen Grenze endet, oder zum wesentlichen nur bis zu den Orten reicht, an denen die Freunde oder Verwandten leben.))

Für mich ist diese Ausnahmezeit mental bis jetzt noch keine Herausforderung, denn für mich gab es noch nie das Fix und Sicher. Keine vier oder acht Wochen konnten wir im Theater nach vorn schauen, und jetzt eben auch nicht; und die feste Hoffnung, dass wir mit einem Erbbaupachtvertrag für 50 Jahre eine Planungssicherheit bekommen haben, ist aktuell etwas gebröckelt.

Was mich beschäftigt ist, woher wir als WUK Theater Quartier so sehr von unserem eigenen Wunsch getrieben werden mit anderen Ensembles, Theater und projektbezogen mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenzuarbeiten. Gibt es den klaren konzeptionellem Grund? Pures Interesse? Strategie? Neugier?

Für wen sind wir da? Für wen arbeiten wir. Und warum?

In dieser Abwesenheit von „richtiger“ Begegnung frage ich mich auch, was ist unser Publikum. Ist das Publikum unsere Bedingung? Unser Ziel? Wie in vielen anderen Bereichen wächst so eine Lust, ein Vergnügen eine wechselseitige aktive Beziehung zu haben. #relationship #friendship

Ein ganzer Komplex an Fragen macht sich da auf.

Diese Freiheit, diese Unabhängigkeit ist es, die uns treibt.

Und doch diese merkwürdige Form von Wettbewerb um die Fördermittel. Die hier bei uns in der Stadt noch überlagert werden, dass es tolle Amateure oder viele nebenberufliche Akteure gibt, die ein anderes Ziel haben, als für sich professionelle Strukturen zu schaffen.

Mittendrin, in meinem Herzen eine eigenartige Gewissheit, dass wir der Aufgabe gewachsen sind. Die ansteht. Freiheiten, die zu Entscheidungen führen. Freiheiten, die aus finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten zu Projekten führen. Planungen, Ideen und Überlegungen sind in der Entwicklung. Frei nach Daniil Charms: „Er ging in sein Zimmer und entwickelte sich.“ (TW)

Sonntag, 19.04.2020 Tag 38

Bis heute gelten die Verordnungen. Heute Abend werden die Regelungen…überarbeitet? Gelockert? Verschärft? Man weiß es nicht. Die Öffnung der Grundschulen wird in den Debatten hinten angestellt, verkündet Deutschlandfunk. Die höheren Jahrgänge werden prioritär behandelt. Bing. Nächstes Thema. Heute vor 75 Jahren wurde Bergen-Belsen befreit, eine Überlebende gibt in Tel Aviv ein Interview. Der grausame Bericht lässt hält mich vom Kaffee kochen ab. Die Nachrichten erzwingen in Relationen zu denken.

Nun kommt der Abend. Und was hört man? Die 2-Personen Regel soll ab Montag in Sachsen-Anhalt gelten? Aber wie wird dann unsere Aktion am Mittwoch im Cyriaci et Antonii aussehen? Wir wollten doch zu dritt aufschlagen? Ist das überhaupt zulässig? Fragen über Fragen. (EW)

Samstag, 18.4.2020 Tag 37

11 Uhr treffe ich mich mit Lena im WUK Theater Quartier für einen Frühjahrsputz. Das Außengelände zeigt allmählich, dass es seit Wochen von Gästen „verschont“ ist und blüht und wuchert vor sich hin. Damit sich unser Haus nicht in ein Dornröschenschloss verwandelt, schneidet Lena tatsächlich die Dornenhecke und ich schmeiße unseren blauen Hyundai an, um Rasen zu mähen. Nach ca. 3 Stunden ist Lena fertig mit der Hecke und trägt die Zeichen der Arbeit als tiefe Kratzer und Striemen auf dem Körper. Dafür hat sie aber auch von dem Eisverkäufer, der nun neuerdings täglich vor dem Theater steht, ein Eis geschenkt bekommen. Ich stehe auf der falschen Seite der Hecke – kein Eis für mich! Dafür aber auch weniger Kratzer. Verschont bleibe ich allerdings auch nicht. Ich leiste mir verbitterte Kämpfe mit wilder Brombeere. Manchmal schafft es der blaue Hyundai und rasiert kleinerer Pflanzen einfach weg. Gegen die meisten hat er aber keine Chance. Also streife ich die Gartenhandschuhe über und bewaffne mich mit einer Gartenschere. Es ist aussichtslos. Die Dornen bohren sich ins Fleisch trotz Handschuhen, trotz langer Hose, trotz meines ausgiebigen Schimpfwortschatzes den ich dieser Pflanze bei jedem Stich in die Arme und Beine entgegenschleudere. Arschloch bleibt das Passendste, denke ich und meine es auch so! Weder schön, noch praktisch, noch ertragsreich – einfach nur da um zu attackieren, um sich schlagend austeilen, nicht einstecken können! Eine „Ich – bin – gegen – Alles – Pflanze. Vielleicht auch zu Recht…aber diesem Gedanken möchte ich gerade nicht nachgehen. Ich lasse schnell vom Vorhaben ab, sie endgültig zu vernichten. Versuche mir einzureden, es sei schon Genugtuung sie zu stutzen, ihr die stolzen langen Zweige zu nehmen und bin mir bewusst, dass sie in ein paar Wochen mit neuen Sprossen und noch härteren Dornen zurück schlagen wird. Dann überlasse ich diese Arbeit aber vielleicht jemand anderem. Ich höre auf mich mit dem eventuellen Innenleben von Pflanzen zu beschäftigen und bespreche stattdessen mit dem blauen Hyundai wie viel Rasenfläche wir heute noch bearbeiten wollen. Hyundai ist auf meiner Seite. Wir summen gemeinsam im Takt der Schleifmaschine, der durch die geöffneten Fenster aus dem Inneren des Theaters zu uns dringt. Andi führt auch einen Kampf mit den Kleberesten auf dem Parkettboden im Saal. Er ist allerdings ausdauernder als ich und gewinnt nach vielen Stunden die ersten Runden mit dem Schleifgerät. Zurück bleibt der Staub. (NT)

Freitag, 17.4.20 Tag 36

W.  ruft mich an und fragt wie es mir persönlich geht, dem Theater und wie wir mit der Situation klar kommen. Ich beschreibe kurz und er teilt mir mit, dass es auch bei ihm Schwierigkeiten und Ausfälle gibt. Dann sagt er, dass er unserem Theater im Juni gern 1000 € spenden will. Er kann es erst im Juni zahlen, und er hoffe, dass wir es gebrauchen können.

Ich bin baff. Baff und dankbar. Diese eigenartige Art von Dankbarkeit, die schwer zu beschreiben ist. Danke!

Wir als Theater rufen ja nach Hilfe. Und es sind fast 100 Menschen, die ganz direkt mit Geldspenden reagiert haben. Jede Summe hilft ja. Aber so 1000 € direkt. Sehr viel Geld.

Aber ich denke heute darüber nach, was das heißt, nach Hilfe rufen. Unterstützt uns!

Das ist ja unser täglich Brot. Auch ohne Pandemie.

Wir sind strukturell so schwach. Und vielleicht auch so wenig selbstbewusst.

Und meine Gedanken zum Abend schwanken zwischen Gewerkschaft und Anarchie. Zwischen einen Erbhof gründen, den verteidigen und zwischen dem grenzenlosen Vergnügen selbstbestimmt arbeiten zu wollen.

Und leise zur Nacht der Gedanke: Ist der Hilferuf schon die Aufgabe der Selbstbestimmtheit. Oder das Annehmen von  Hilfe.

„Wir kommen schon zu recht!“

„Nein Danke, ich komme schon selbst wieder auf die Füße!“ (TW)

Donnerstag, 16.04.2020 Tag 35

Heute wird gezoomt. Erst mit Tom und Nicole zu Vorstandsangelegenheiten und danach mit Sarah und Mereth. Viele Tagesordnungspunkte sind geplant. Auf dem WUK-Konto ist erfreulicherweise die Soforthilfesumme der IBSH zu verzeichnen. Kleine Schritte. Einige Baumaßnahmen am Haus müssen nun dringend vorgenommen werden. Der Graben an der Außenwand muss geschlossen werden. Davor muss eine Schutz- und Isolierschicht auf die unteren Wände rund um das Haus aufgetragen werden. Das bedeutet viel Arbeit und wird bis Ende Juni dauern. Auch andere Baustellen im Bühnenraum und Foyerbereich drängen. Eigentlich ist jetzt eine gute Zeit dies alles anzugehen.

Mit Sarah und Mereth besprechen wir die Lage der Anträge. Unser umfangreiches Konzept von AUF SENDUNG braucht größere finanzielle Grundlagen für die Umsetzung. Dafür werden wir weitere Mittel einwerben. Allein die Video-Version von FUTUR braucht Liebe, Zeit und technisches Geschick. Qualifikationen anreichern im digitalen Bereich. Das wird von Nöten sein. So schnell werden wir nicht wieder öffnen dürfen. Das ist unsere ernüchternde Vorahnung. Uff. Blass sind wir. An unseren Bildschirmen. (EW)

Mittwoch, 15.4.2020 Tag 34

Ein schöner Tag! Ein sehr schöner! 9.45 Uhr stehe ich vor dem Theater. In 15 Minuten treffe ich mich mit Niklas auf den Höfen von Cyriaci et Antonii. Zum dritten Mal stehen wir unter Balkonen und vor offenen Fenstern, lesen und trompeten Freude in die Gesichter unserer älteren NachbarInnen. Viele sind heute an die Fenster gekommen. Sie erwarten uns bereits, wie auch die PflegerInnen, die uns schon wissend zunicken. Heute lese ich selbst Zeilen von Kästner, Rilke und Ringelnatz. Unsere HörerInnen lachen und leise summt und singt es über die Trompetenklänge. Ich bin extrem dankbar für das kleine performative Erleben, das einen klitzekleinen Hauch von Bühnenluft in den Körper weht. Die Euphorie des Momentes trägt mich den ganzen Tag. Als ich ins Theater komme, ist Sven schon da und arbeitet im Keller. Ich beantworte ein paar Emails und bestelle einen Container für den Bauschrott. Vor ein paar Tagen hat Tom mit Andreas und Sven besprochen, wie wir die vorstellungsfreie Zeit sinnvoll nutzen. Das Parkett im großen Saal soll abgeschliffen werden, außerdem fallen mal wieder ein paar Wände. Das Haus lüftet erneut ein paar Geheimnisse. Hinter einer Wand steht eine Wand, hinter der wieder eine Wand steht und ein kleines neues Fenster ist da plötzlich auch und ein Schacht, der in den Keller führt und praktischer Weise als Schuttrutsche dient. Arthur kommt später noch vorbei, und wird beginnen herauszuschlagen, was da nicht hingehört. Für 2 Minuten sehe ich Tom nach Wochen mal wieder analog und nehme es zum Anlass ins Homeoffice zu verschwinden, obwohl ich sehr gern bleiben möchte. But safety first, auch wenn es immer schwerer fällt die Leichtsinnigkeit zurückzuhalten. Heute sitzt man im Bundestag zusammen und bespricht das weitere Vorgehen, eventuelle Lockerungen, eventuell auch wie es für uns, für die Kunst weitergeht, ob es weitergeht, wie es weiter geht. Morgen wissen wir mehr und vielleicht, vielleicht dürfen wir dann auch wieder mehr als 2 Minuten zusammenstehen. (NT)

Dienstag, 14.4.20 Tag 33

Wir müssen arbeiten. Müssen, weil wir leben wollen.

Lesen und Schreiben. Das Schriftliche gefällt mir sehr. Ein tröstender Ersatz für die gemeinsame Auseinandersetzung in einem Raum. Ein Text. Funktioniert für mich weiterhin besser als die geschüttelten Videokonferenzen.

Dennoch willkommene Alternative. Wir verabreden, dass wir mit unserem Projekt  # aufsendung starten wollen. Kreativ, interaktiv, multilokal. Wir sind dafür nicht aufgestellt, weder personell, noch technisch. Es ist schwer und doppelt nötig für unsere aktuelle künstlerische Arbeit eine Finanzierung herzustellen.

Alle Ideen, Überlegungen wackeln, wackeln stark, sobald eine Person die Frage nach der konkreten Umsetzung stellt. Wann? Wie? Mit wem? Für welchen Zeitraum denken wir? Es ist einfach nicht klar, wann wir wieder mit einem Spielbetrieb, Probenbetreib beginnen. Wie lange eine Übergangszeit definiert ist? Für uns ist es absurd. Wir wollen so schnell wie möglich wieder einen Betrieb. Und auf der anderen Seite wollen wir auch eine Planungsklarheit. Und gleichzeitig einen solidarischen Umgang mit der Pandemie.

Unsere Arbeit war unterbrochen. Jetzt beginnt diese wieder…. Es gelingt langsam. (TW)

Ostermontag, 13.04.2020 Tag 32

Es ist absurd. Die Verordnungen und Bußgeldkataloge haben sicher ihre Berechtigung. Aber dass Angeln erlaubt ist und lesen auf einer Parkbank nicht ist schon fast eine Stilvorlage aus einer Monty Python Persiflage. So eng gestrickte Zensur wirkt für uns absurd. Aber wir sollen nur froh sein und erleichtert. China führt gerade das Sozialkreditsystem ein. DAS ist eine wahrhaft denkwürdige Kontrollmaßnahme.

Ich bin ja, nicht zu vergessen, auch immer noch als Teilzeitlehrerin bei mir selbst angestellt. Mit meinem Sohn behandle ich heute den Unterschied zwischen m und doppel m. Schnell begreift er den Unterschied. Ich bin froh über unseren Erfolg. Er hat auch sofort ein Beispiel parat: „Wenn man m mit doppel m verwechselt, dann würden die Menschen vielleicht nur 1,5 mm Abstand zueinander einhalten. Dann müssten alle im Nasentanz auf der Straße herumlaufen. Das sähe ja komisch aus!“

Ich muss laut lachen. Wahrlich! Eine herrliche Vorstellung. Der Slap Stick Film im Kopf läuft schon. (EW)

Sonntag, 12.4.2020 Tag 31

Gestern habe ich mit Elsa gezoomt. Wir haben Ideen für eine weitere Folge der Pension Tröger ausgetauscht. Vorgestern hatte ich schon mit Tom besprochen, dass wir eine zweite Folge produzieren, die voraussichtlich im Mai Premiere haben wird, irgendwo im www. Aber zuerst muss ein Drehbuch her. Das wird mich/ uns die nächsten Tage beschäftigen. Heute ist Ostersonntag. Heute arbeite ich nicht oder nur ein bisschen. Bin im Theater, um Madame Kurt Wabbel frohe Ostern zu wünschen und weil man auf unserem Hof gut sitzen und allein ein Buch lesen darf. An der Tür des Besuchereingangs hängt ein goldenes Ei. Auch in der Hecke finde ich goldene Eier. Osterhase? Ich sende Fotos an die KollegInnen. “Wenn das nicht goldenen Zeiten verspricht“ schreibt Sarah. Versprechen sollte man zurzeit wohl nichts, aber hoffen, hoffen darf man das ja und freuen auf das, was da kommt. (NT)

Samstag, 11.4.20 Tag 30

Heute wollte ich vollkommen gegensteuern. Rolle rückwärts machen. 180 % Drehung. Oder Winkelzüge. Tatendurstig ohne Ort diese Tatenlust zu entladen.

Habe mich nach Abstimmung mit Elsa und Nicole in den vergangenen Tagen nun doch, mit dem gehörigen Abstand im WUK Theater Quartier mit unseren Baupartnern getroffen. Ich bin froh, dass wir mit Thomas einen neuen Bauplaner haben. Wir haben uns also auf den Weg gemacht, holprigen Weg. Aber irgendwie tun wir auch so, als ob sich die Welt normal weiter dreht. Und dadurch dreht sie sich auch weiter. Wir nutzen diese Ausnahmezeit und bauen im Haus weiter um. Jetzt ist der Saal dran. Technisch werden wir es verbessern. Durch die Planung entsteht  etwas Perspektive und dadurch Hoffnung. (TW)

Karfreitag, 10.04.2020 Tag 29

Ich sitze auf der Wiese im Korbstuhl und arbeite am Lap Top. Ich will Mereth Material zuarbeiten. Sie sitzt gerade an einem Antrag zur Initialförderung fürs WUK. Ich versuche meine Augen zu fokussieren. Das faltet unweigerlich die Stirn. Das grelle Licht der Frühlingssonne konkurriert mit der Bildschirmbeleuchtung. Das Getippte zu lesen gestaltet sich schwerfällig. Dennoch, der Frühling ist ein dankbarer Geselle im Ausnahmezustand. So oft wie möglich draußen sein. Hier auf der Dorfwiese im herrlichen Nirgendwo. Uhren gab es vor Corona schon nicht. Jetzt orientiert man sich nur noch an der Sonnenuhr. Gemächlich ersucht der Tag sich im flirrenden summenden Mittag dahin zu schleichen. Plötzlich klingelt das Telefon. Ich schaue aufs Display. Nicole! Wir begrüßen uns herzlich. Lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Daher ist das Telefonieren bedeutender geworden. Ich lasse den Lap Top auf die Wiese gleiten (ich weiß, man sollte gerade jetzt eigentlich sorgsam mit technischen Geräten umgehen…) und spaziere zur Schafsherde, krauche unter dem Zaun durch und geselle mich telefonierend zu ihnen. Nicole sagt, dass es eine neue Folge von Pension Tröger geben wird, im Mai. Eine verfilmte Folge. Ich setze mich ins warme Gras. Ideen haben wir schon beim ersten Spinnen. Nur stellt sich immer wieder ein Aspekt quer: Wir dürfen uns im Film nicht begegnen. Das heißt, gemeinsame Szenen sind ausgeschlossen. Dass Frau Tröger, Nikolaus und Barbara im gewohnten Dreier-Ambiente agieren und sich gegenseitig Impulse liefern ist also nicht möglich. Wie ungewohnt. Wir werden also ein Drehbuch schreiben, in dem die Begegnung im Schnitt stattfindet. Man darf gespannt sein. (EW)

Donnerstag, 9.4.2020 Tag 28

Ich bin ab 9.30 Uhr im WUK, koche mir einen Kaffee, baue meinen Arbeitsplatz im Hof auf (Bank und Tisch in die Sonne rücken, Verlängerungskabel und Verteiler aus dem Fenster, Netzkabel einstecken, Laptop hochfahren) und beginne zu arbeiten. Lese mich in den Lotto- Toto Soforthilfe Antrag ein. Bis zu 10.000 € Ausfallkosten können z.B. Vereine beantragen. Klingt erst mal nach Hilfe! Außerdem ist eine Paketlieferung angekündigt. Da das Päckchen vor drei Wochen schon mal geliefert werden sollte und nicht angenommen werden konnte, weil ich um 6.50 Uhr noch nicht im Büro war, es daraufhin wieder zurück an den Absender ging, habe ich mich entschlossen, extra präsent im Hof zu sitzen, um das Postauto nicht zu verpassen. Gegen 11 Uhr bekomme ich eine Nachricht, dass niemand angetroffen und das Paket 10.19 Uhr am verabredeten Ort hinterlegt wurde. NEIN NEIN NEIN schreit es in meinem Kopf. Ich finde nach unzähligen Klicks heraus, dass der verabredete Ort- die Haustür ist. Ich laufe also einmal um das Theater herum, zum Besuchereingang, und sehe… NIX! NEIN NEIN NEIN schreit es in meinem Kopf und vielleicht verlässt ein weiteres NEIN NEIN NEIN, hoffentlich nicht schreiend, meinen Mund. Ich begebe mich auf Paketsuche. Erfolglos! Genervt setze ich mich wieder an den Laptop, telefoniere mit Tom. Er kommt 13 Uhr ins WUK. Ich verlasse also 12.30 Uhr das Haus! Um 14.30 Uhr bin ich mit Samuel und Karolin bei Zoom verabredet. Konzeptionsprobe zu Ja heißt ja. Wir sprechen und richten eine Onlineplattform zum gemeinsamen Arbeiten ein. Ich bin leider immer noch sehr schlecht gelaunt. Dabei war gestern noch ein guter Tag. Ich war mit Juliane und Niklas bei den Nachbarn von Cyriaci et Antonii. Die BewohnerInnen waren wieder sehr angetan und haben wild aus Fenster und von Balkonen gewunken. Etwas skurril ist es auch. Auf einem Hof sahen wir kaum Menschen, aber man versicherte uns, dass hinter den Gardinen BewohnerInnen stehen und freudig lauschen. Wir kommen wieder! Zwischendurch muss ich einkaufen, dass bessert die Laune nicht unbedingt. Allerdings treffe ich vor dem Essig und Öl- Regal gleich drei Kollegen mit einmal. Verrückt! Zur gleichen Zeit am gleichen Ort vier von uns vor Essig und Öl, einer sucht Soja-Sauce. Die gibt es hier nicht. Er geht weiter. Drei von uns quatschen kurz über KSK, die Not und das Brot und fragen sich dabei, ob sie das eigentlich gerade tun dürften, bevor sie ihre zufällige „Versammlung“ auflösen. Es ist das gleiche, aber nicht dasselbe Boot in dem wir sitzen, denke ich. Die Not ist die gleiche, die Sorgen sind ähnlich und doch sorgt sich jede auch anders. Tom und Mereth sind ungefähr zur gleichen Zeit im WUK unterwegs. Ein Bauingenieur begutachtet unser Theater. Es werden Bauvorhaben besprochen. Was ist möglich, was ist notwendig, was wichtig, zu welcher Zeit. Ich bin neidisch und wäre auch gern im Haus um zu lauschen. Es ist dieses Gefühl von: Jetzt verpasse ich Alles. Natürlich ist das übertrieben – aber heute fällt rational sein schwer! Wahrscheinlich bin ich neidisch, weil überhaupt mal wieder etwas passiert im Haus, weil die KollegInnen zusammen sind, weil ich DAS eben verpasse…so wie das Paket heute Morgen. (NT)

Mittwoch, 8.4.20 Tag 27

Der erste Bescheid für mich ist heute gekommen. Also für meinen Antrag auf Soforthilfe. 400 € werden mit zugesprochen vom Land Sachsen- Anhalt. Habe ich etwas dafür getan? Darf ich das kritisieren, dass es mir zu wenig erscheint. Wie arrogant ist das?  Privilegierte Arroganz. Oder? Oder ist es doch so, dass ich meinen Honorarausfall im März dagegen setze, 2000 €? Und damit ist meine Unzufriedenheit gerechtfertigt. So wie mir geht es fast allen in unserem Team. Ausfall auf Grund der Komplettabsage von Proben und Vorstellungen.  Und ich denke jetzt erst einmal daüber nach, was ich mit den 400 € bezahle. Krankenversicherung? Miete? Oder doch etwas zu Essen für meine Familie.

Dienstag, 07. April 2020 Tag 26

AM FENSTER. Serielles Spielen. Ein neues Format. Online. Bald sollen erste Gebärden sichtbar werden.

1. Was passt in vier Ecken? Was ist an meiner Scheibe möglich? Wer hat eine Scheibe und wer schneidet sich eine ab? Die Fliege wohl nicht. Wer ist die Fliege? Und wer isst die Fliege?

2. Ich schreibe ein Gedicht. Schicke es nicht ab. Tom schickt mir Notizen. Vertraute Skizzen, so schnell gezeichnet, dass noch Gehirn dran klebt. Das mag ich.

3. Johann H. W. Tischbein malte 1787 „Goethe am Fenster in der römischen Wohnung“. Caspar D. Friedrich malte 1818 „Frau am Fenster“. Der Anblick des Rückens, der in die Augen führt. In den Kopf. Und der Malende? Nimmt die Hand. Den Pinsel hinein. Legt ihn auf die Leinwand und ein Bild, wie sich jemand ein Bild macht, über die Welt. Oder über etwas anderes. Oder über nichts Besonderes. Über etwas.

4. Ich gehe ins Bett und träume. Von einer Frau, die mit ihrem Gesicht in einem winzigen Fenster steckt. Die versucht sich herauszuwinden, verletzt sich dabei an der Schläfe und versucht mühevoll das Blut mit der winzigen Gardine abzuwischen. Sie schwitzt. Wie ist sie hier rein gekommen? Oder hier raus? Was ist da unten? Sie will raus, aber nicht aus dem Rahmen fallen. Ist es ihr Rahmen? Gehört er zu ihr? Ist er schon immer da und sie hat ihn nur noch nicht bemerkt? (EW)

Montag, 06.04.2020 Tag 25

Es ist Montag. Die vierte Woche Homeoffice beginnt. Ich schreibe eine Pressemitteilung, um die Informationen vom Freitag nach draußen zu schicken. Habe dann eine Videokonferenz mit Karolin. Wir haben die Gedanken aufgewühlt, sortieren nun und verabreden uns für Donnerstag, um erste Ideen in den Pott zu hauen. Ich muss Samuel noch fragen, ob er auch am Donnerstag Zeit hat für die digitale Konzeptionsprobe. Später unterzeichne ich erste Stundungsvereinbarungen für offene Rechnungen – analog! Die Anfragen auf Stundung häufen sich, beruflich und privat. Heute Morgen bekam ich einen Anruf von meiner Krankenkasse. Eine Frau vom Kundenservice wollte einfach mal fragen, wie es so läuft. Die weiß Bescheid, denke ich. „Ich wollte mich einfach mal erkundigen, ob es Ihnen gut geht“ hat sie gesagt. Toll! Ich nutze die Gelegenheit, frage Sachen und mache auf der privaten to- do- Liste einen weiteren Vermerk in der Spalte dringend! Spreche dann kurz mit Mereth zu unserem kleinen Hofprogramm für die Bewohner*innen von Cyriaci et Antonii, dass am Mittwoch wieder stattfinden soll. Viele aus unserem Team haben sich bereit erklärt zu lesen oder Musik zu machen. Wir versuchen während der Kontaktsperre, einmal pro Woche für unsere Nachbarn von Gegenüber etwas Abwechslung in den Alltag zu bringen. Juliane und Niklas haben für Mittwoch zugesagt. Zum späten Nachmittag bin ich im Theater. Ungefähr 2h vor mir war Tom hier und hat Sven und Andreas getroffen um Arbeitspläne zu besprechen. Jetzt sind wieder alle weg. Es ist schon sehr schräg. Als hätten wir uns alle verkracht und achteten tunlichst darauf, uns nie wieder zu begegnen. Man bemerkt nur das jemand im Haus war, weil plötzlich ein Kabel auf dem Tisch liegt, dass da gestern noch nicht lag oder die Ablage im Büro neu sortiert wurde. Mir fällt dieses Märchen von Hase und Igel ein: Hase und Igel laufen ein Wettrennen, Hase sprintet los, als er am Ziel ankommt liegt da ein Zettel: „Ich bin schon wieder weg!“ LG Igel. PS. Apropos Hase und Igel: Ich bin heute gerannt! Hallo Körper! (NT)

Sonntag, 5.4.2020 Tag 24

Passend zum zunehmenden Mond, passend zum Sonntag wache ich auf und habe den Traum noch im Kopf. Soweit ist es schon: Ich bin in einer Probe mit Elsa, Nicole und andere sind auch dabei. Es gibt eine gewisse Frage, die diskutiert wird; wer und ob noch jemand mitspielen soll. Die Probe findet in einem mir unbekannten Raum statt, erhöhte Bühne, ein Podest aus Holz, an die Wand gestellt, vier mal fünf Meter, kein allzu hoher Raum, keine Fenster; neben dem Podest ist kein Platz, nur davor zwei oder drei Meter; Wir diskutieren, die anderen beteiligen sich, wie es weitergeht. // Schnitt// Wir entscheiden mit einer Metallplastik (wie von Irmtraud Ohme, von ihr steht eine Großplastik vor der Moritzburg in Halle) zu spielen. Flache Metallfigur mit breitem Fuß, Rost, ca. 70 cm hoch, man kann diese kaum tragen; nur der Kopf ist in der Plastik dargestellt; man hebt diese an, stellt sie einige Schritte weiter wieder ab, stellt sie auf den Tisch; das ist unser Spielpartner. Wir stimmen ab, dass wir mit dieser Metallfigur arbeiten. Alle sind dafür.// Schnitt// Am nächsten Tag, Probe, Elsa kommt und schlägt vor, sie hätte mit einer Spielerin gesprochen, und diese wäre ganz toll und dass diese doch anstatt der Metallfigur, gut wäre etc.; es geht in der folgenden Diskussion um die Genehmigung, dass man doch mit drei Personen auftreten darf. Ich rege mich total auf, will die Probe abbrechen, Nicole und die anderen versuchen mich zu beruhigen. Elsa sagt nichts mehr, ich will jetzt aber wissen, ob wir bei der abgestimmten Variante bleiben. Wir beruhigen uns alle wieder. Die Probe geht weiter….

Den ganzen Sonntag trage ich diesen Traum in mir, schwere Metallfigur denke ich, und wann darf ich wieder spielen…(TW)

Samstag, 04. April 2020 Tag 23

Unsere Startnext-Kampagne ist der Wahnsinn! Großartige Menschen aus Politik, Rundfunk, Verbänden und Vereinen schreiben und unterstützen uns. Die Stadt, das Stadttheater und das Studentenwerk signalisieren vielseitig Hilfe und Solidarität. LanZe bricht eine Lanze für uns. Das WUK Theater Quartier ist wichtig für die Stadt und für Sachsen-Anhalt. Es tut gut, dies nicht nur aus den eigenen Kreisen zu hören. (EW)

Freitag, 3.4.2020 Tag 22

Um 20:30 schreibe ich eine Nachricht an Karolin: „30 min zu spät, aber ein makabres TOI TOI TOI“. Seit 30 min würde ich auf der Bühne stehen- allein – (mein erstes Solo im WUK) und den Text von Carolin Emcke performen. Heute wäre die Premiere von Ja heißt ja und… Hätten wir uns nicht vor drei Wochen entschließen müssen, alles abzublasen, dann würden jetzt vermutlich noch ca. 45min, #metoo-Konfrontation auf das Publikum hageln. Den ganzen Tag umgibt mich ein bisschen Melancholie. Wir haben in dem Moment aufgehört zu proben, an dem es konkret geworden wäre. An dem wir Entscheidungen getroffen hätten, in welche Richtung wir gehen. Jetzt stehen wir vor einem Stoppschild. Karolin sendet mir Fotos vom Probenstand. Ich erinnere mich an das Proben vor drei Wochen…sportiv, wirr, durchgeknallt, suchend, finden wollend, arbeitend… Ich will zurück. Aber nein… nach vorn schauen! Tom, Elsa und ich haben diese Woche entschieden, dass Ja heißt Ja und… stattfinden wird. Vermutlich dieses Jahr. Wir bereiten uns vor. Karolin und ich werden uns am Montag bei ZOOM treffen und besprechen, wie wir uns vorbereiten. Das Konzept weiterdenken, vielleicht auch neu denken. Ich vermute, Corona wird auch nach Aufhebung des Kontaktverbotes gegenwärtig bleiben, zu tief sitzt der Virus schon im Kopf. Aber die Aussicht auf Neustart beflügelt mich auch ein bisschen. Außerdem geht es weiter mit Pension Tröger. Niklas, Elsa und Ich bereiten 7 weitere Folgen vor, auf Papier. Tragen Skizzen, Material und erste Plots zusammen. Nicht aufhören zu denken. Ich habe Bock. Aber ich muss mich wieder besser motivieren, Zuhause zu arbeiten. Es wird zunehmend schwieriger am Ball zu bleiben. Immer schwerer, sich nicht durch Eierkuchengeruch aus der Küche ablenken zu lassen, der Lust widerstehen, einfach hinüber zu laufen und einen Kuchen in sich hineinzuschieben…natürlich widerstehe ich nicht! Später am Nachmittag bedrückende Nachrichten. In meinem Kopf braut sich schon wieder ein mürrischer kleiner Sturm zusammen. Ich bekomme die Nachricht dass, das Landesverwaltungsamt Anträge auf Soforthilfe doch nur für einen Monat, anstatt der angekündigten 2 Monate bewilligt. Wir hören, dies sei Ministeriumsbeschluss. Anträge von Künstler*innen werden abgelehnt, weil: Kein KSK- Mitglied. Als sei dies, ausschlaggebendes Kriterium für die berufliche künstlerische Tätigkeit. Das Denken ist nach wie vor starr in den Köpfen derjenigen, die über die Köpfe anderer entscheiden! Ich höre weiter von anderen Akteur*innen, dass die meisten noch nicht einmal eine Eingangsbestätigung ihres Antrages erhalten haben, inklusive mir und vielen aus unserem Team. Es ist Freitagnachmittag, ich habe mich auf ein- bisschen- früher Feierabend eingestellt, jetzt schreibe ich wieder Emails. Solidarisieren mit den Kolleg*innen in der Stadt. Es muss lauter werden. Wir müssen lauter werden. Montag!

Heute geh ich noch spazieren. Auch hinter unserem Theater ist es schön. Weite Wiesen, schmale Wege, umgeben von fließwasserbegleitenden Erlen, vielleicht auch Schwarz- Erlen auf jeden Fall aber Erlen. Das weiß ich jetzt! Durch den Auenwald leuchtet in der Ferne der VW-Mond und schräg darunter, das weiß ich auch, ist das WUK Theater Quartier. (NT)

Donnerstag, 2.4.2020 Tag 21

Unbändige Lust in Arbeit zu sein. Sich mit dem Team in Büro und Probenraum zu begegnen. Ich beginne, einen Plan für die nächsten Wochen zu entwerfen. Den werde ich zusenden. Und wir besprechen in der Videokonferenz im Leitungsteam die aktuelle Situation, Aufgaben und Planungen. Ich berichte, dass wir hier in Sachsen- Anhalt sehr wohl anders aufgestellt sind als z.B. in Berlin oder oder. Aber wir wollen in die Projektarbeit einsteigen. Bisher hat nur das Studentenwerk uns eine Förderung für das geplante Projekt „AUF SENDUNG“ zugesagt. Wir brauchen aber dafür noch mehr Mittel, wenn wir in dieser Situation nicht auf ehrenamtliche Arbeit zurückgreifen wollen. Wir sind uns einig, dass dies in der Situation mit Honorarausfall für unsere aktiven Beteiligten, weiterhin nicht unser Ziel ist. Irgendwie bin ich voller Hoffnung nach dem Austausch. Wir arbeiten gleichzeitig an drei Projekten, und auch wenn wir mit den Einschränkungen bis nach dem Sommer rechnen, werden wir jetzt nicht darauf harren. In Arbeit ist mein Motto. Habe mich auch auf Bundesebene dafür eingesetzt, dass es jetzt darauf ankommt Fördermittel für die Arbeit zur Verfügung zu stellen…

Vielleicht bin ich auch so erfüllt, weil unsere kleine Lesung gestern in der Stiftung Cyriaci et Antonii so herzerwärmend war. Mit Niklas zusammen hatte ich an vier Häusern gelesen und auch die Berichterstattung und Reaktion waren so herrlich und bestätigend.

Vielleicht bin ich auch so erfüllt, weil wir in unseren Spendenaktionen so viele Menschen erreicht haben, fast 5000 € sind schon eingegangen, und es ist wie oft, nicht die Summe sondern eher jede einzelne Reaktion auf unseren Hilferuf. Das stärkt und ermutigt. (TW)

Mittwoch, 01. April 2020 Tag 20

April, April. Die TAZ ist zu wilden Scherzen bereit: Markus Söder hätte angeordnet, dass ab sofort über allen Krankenbetten des Freistaats ein Kreuz angebracht werden müsse. Auch das gesamte Klinik- und Pflegepersonal würde verpflichtet, Halsketten mit einem Kreuz zu tragen. Ich erinnere mich an frühpubertäre 1.-April-Tage, für die ich mit meinem Bruder vorher nächtelang an mechanischen Patenten tüftelte um unsere Eltern in den Wahnsinn zu treiben. Wenn es an der Umsetzung scheiterte, tat es immer noch eine realitätsnahe Lügengeschichte um Mama aus der Fassung zu bringen. Meistens musste mein Bruder herhalten.

Neuigkeiten vom WUK: Tom und Niklas schwimmen heute zum anderen Ufer. Die Box ist aktiv und auch das Mikrofon nicht weit. Aus dem Fenster blickend, in der Tür oder am Weg verharrend, stehen Menschen, unsere längstlebigen Flussnachbarn von St. Antonii et Cyriaki. Tom liest, Niklas spielt Trompete. Wort und Klang und Wellengang. Enten quaken zaghaft. Es fühlte sich nicht wie ein Solidar-Akt an, eher wie ein Moment des Teilens. Kraft der Einfachheit. Ich war nicht dabei, aber so wurde es mir beschrieben. Ungewohnt gerührt. Ich kann es mir vorstellen. Wir beschließen jeden Mittwoch 10 Uhr eine solche Aktion zu realisieren. Eine Zeit am Fenster, ein Zeitfenster in Distanz, die trotzdem geringer ist als es ein Life-Video je sein könnte. Ich werde ganz rührselig, stelle mir vor, wie ich von hier durchs Telefon mit Lautsprecherverstärkung blockflöten könnte. Das tue ich doch so gerne. Auf die Gefahr hin, dass es sehr lustig wird. Ich werde das mal vorschlagen. (EW)

Dienstag, 31.3.2020 Tag 19

Es ist 22:30 Uhr. Ich habe massiv schlechte Laune. Den ganzen Tag schon. Dabei begann der morgen gut, wie immer in den letzten Tagen. Das ist wahrscheinlich schon das Problem. Das immer! Frischer Kaffee, frischer O- Saft, geachtelter Apfel- es schmeckt! Ich setzte mich an den Schreibtisch, fahre den Laptop hoch- beginne zu schreiben. Wieder ein Unterstützerbrief. Das formulieren fällt immer leichter, hab diesen Text so oder so ähnlich ja inzwischen ein paar mal geschrieben. Versuche dann ein paar Dinge aufzuarbeiten. Zeugnis schreiben für die Praktikantin, die schon lange darauf wartet. Das erinnert mich an andere Dinge, die schon lange liegen. Ich mache mir eine Notiz auf einem der vielen kleinen Zettel, mit denen ich die Fläche meines Schreibtisches tapeziere, auf dem noch kein Papier liegt. Dabei fallen mir andere im Hinterkopf gespeicherte Aufgaben ein, die ich schon gestern und vorgestern und letzte Woche und letzten Monat machen wollte. Zwischendurch schwirrt eine Nachricht von den KollegInnen rein…ich vergesse wieder was ich vorgestern schon gemacht haben wollte und zerknülle das kleine Papierchen auf das ich Kr… geschrieben habe. Kr…keine Ahnung was ich da vorhatte: Krümel wegfegen, Kraniche falten, Kreide kaufen, Krrrrr….fällt mir nicht mehr ein. WEG! Ich kann mich nicht konzentrieren. Habe zwischendurch schon viermal auf meiner Gitarre rumgeschrubelt, die ungeschickter Weise griffbereit neben dem Schreibtisch steht. Bin mir noch nicht sicher, welchen Auftrag die zur Zeit hat…mich ablenken, Flucht oder beides! Ich bin unzufrieden! Zwischendurch wird gekocht. Spinat aus dem Tiefkühler- schmeckt, aber lenkt auch ab! Bevor ich zum Theater laufe, schau ich im Spiegel ob Spinat zwischen den Zähnen klebt… es klebt. Ein kurzer Moment von Genugtuung, weil ich so umsichtig war, den Spiegel vorm Loslaufen aufzusuchen. Denn Spinat sieht man auch bei 1,5m Abstand zwischen den Zähnen, für den Fall das einem jemand begegnet, mit dem man ein kurzes distanziertes Grinsen austauschen möchte! Im Theater: Ich füttere das Tier- es gibt Kalbbröckchen, danach geht Frau Wabbel spazieren und ich wieder in den Keller. Der PC im Büro ist extrem langsam, obwohl ich schon den Cleanmaster angeschmissen habe!!!! Vorteil am allein im Büro sein ist, man kann so oft und laut f*****k sagen wie man möchte. Es hilft allerdings nur kurzfristig! Mereth ist fleißig und Tom und Sarah auch, die schreiben gerade Antrag. Ich hab zu viel geschimpft oder gequengelt und werde darum verschont bzw. muss noch Korrektur lesen. Tolles Team – das kann ich zum Glück auch mit schlechter Laune anerkennen. Ich bedanke mich morgen nochmal richtig! Auf dem Weg nach Hause denke ich darüber nach, ob das nun die ersten Anzeichen von Lagerkoller sind. Ich erinnere mich an die Tipps dieses U-Boot – Typen aus dem Podcast: Regel 1) Routine, geregelter Tagesablauf usw…..ha. Da liegt das Problem! Ich hasse diese neue Routine. Ich will nicht jeden Tag das Gleiche tun. Ich will keinen geregelten Alltag. Ich will nicht jeden Tag allein meinen Tag strukturieren, jeden Tag am Rechner sitzen. Es frustriert mich. Dieses ständige Telefonieren, Mails schreiben, lesen, antworten, lesen antworten, lesen, lesen, antworten, anrufen, weil man nicht richtig versteht, schreiben, wieder anrufen, Akku leer, Akku laden, zurückrufen, schreiben, lesen…..Ich will arbeiten. Will im Theater arbeiten, will meine alte unroutinierte Rountine! Von Mensch zu Mensch. Gesichter sehen, will spontan einen Termin haben müssen, schnell die Bühne wischen, den vierten Kaffee mit Tom und Elsa trinken, Mereth fragen, ob sie auch noch einen will, Sarah neidisch zusehen wie sie ihr mitgebrachtes Frühstück verzehrt, Kerstin bitten den Buchhaltungsordner von meiner Tastatur zu nehmen. Ich will nach 5 h Büro 4 h im Proberaum verschwinden oder den ganzen Tag Hauptprobe haben, ich will 18:30 ins Foyer gehen um zu schauen, ob Kasse und Bar besetzt sind, ab 19 Uhr die Tageskasse öffnen und um 19:55 die Gäste begrüßen zur heutigen Vorstellung. Ich will im Foyer auf den frenetischen Applaus warten, die Türen öffnen, den Leuten einen guten Abend wünschen, und dann nach 12 h oder so die Straßenbahn an mir vorbeirauschen sehen und denken: schade, dass ich die nicht mehr gekriegt habe. Klar das ist auch irgendwie Routine…aber eben meine Routine und nicht die von Corona!

PS. Um den Tag doch noch etwas Positives abzugewinnen: Paul (5 Jahre oder 4?) hat mir heute am Telefon erzählt wie ein Ohrwurm entsteht: Ein klitzkleiner Wurm fliegt in ein Ohr und legt dort Eier. Die schlüpfen dann und Zack – Ohrwurm. Paul sagt er hätte sogar zwei. In jedem Ohr einen anderen. Danke kleiner Paul- das hebe ich mir auf! (NT)

Montag, 30.3.2020 Tag 17

Die Vögel sind lauter. Oder werden sie jeden Tag lauter? Oder denke ich nur, dass sie lauter werden. Komische Gedanken in den Tag hinein. Der Garten des Nachbarn. Das Haus. Der Blick aus dem Fenster. Ich habe keinen Anlass mich über mein Zuhause zu ärgern, aber dennoch Sehnsucht zum Holzplatz. Es reicht mir, ich will Proben, will mit Menschen in einem Raum für andere Menschen Geschichten, Aktionen erfinden. Nicole ist im WUK Theater Quartier, fast jeden Tag. Ich war seit zwei Wochen nicht mehr vor Ort. Morgen treffe ich mich mit Sven. Ich habe mich so auf die Arbeit mit ihm gefreut, seit dem 1. März ist er unser fester Theatertechniker. Was für ein Unbeginn. Morgen werde ich mit ihm sprechen, habe mich mit Nicole und Elsa dazu verständigt, dass wir ihm nicht kündigen. Sonntagsruhe zählt nicht diese Tage. (TW)

Sonntag, 29. März 2020 Tag 17

Video-Konferenz mit Mereth und Christoph. Schön, ihre Stimmen zu hören und ihre Gesichter zu sehen. Die Internet-Verbindung ist nicht so stabil. Deshalb fassen wir uns kurz. Es geht um KENNEN WIR UNS. Wir wollen die Zusammenarbeit mit der lieb gewonnenen Truppe nicht abreißen lassen. Es soll Aufgaben geben, die den Jugendlichen Spaß bereiten und eine willkommene Ablenkung sein dürfen. Und Aufgaben, die spontan und einladend wirken, nicht überfordern sollen. Mereth führt unsere Ideen zusammen. Es sind viele. Das ist nicht gut…wir müssen uns auf maximal zwei konzentrieren und diese besser ausmalen. Zunächst richtet wir eine Plattform bei SLACK ein. Dort kann man sich austoben und austoben lassen.

Ich vermisse trotzdem die echte Arbeit. Ein Hoch auf die Tatsächlichkeit, das Stattfinden, die Grundfeste des Theaters. Gut zu wissen, dass man das immer noch und immer wieder vermisst. (EW)

Samstag, 28.3.2020 Tag 16

Das Wetter ist fantastisch. Seitdem es die Kontaktsperre gibt und man gebeten wird drinnen zu bleiben, tobt sich das Wetter richtig aus. Ich bin froh, dass ich im Theater nach dem Rechten schauen muss. So komme ich mal raus und kann die Sonne genießen. Seit 2 Wochen schon laufe ich täglich 2x ca. 30min! Mein Arbeitsweg. Laut google maps sind das 2.2 km x 2 also 4,4 km täglich. Pro Woche also fast 31km. So klingt es ganz gut: Ich laufe pro Woche 31km! Da gestern in meiner Wohnung das Modem kaputt gegangen ist (toller Zeitpunkt) folglich keine Wlan- Zugänglichkeit besteht, habe ich mich entschlossen, ein paar Stunden im WUK zu arbeiten. Wie schon die letzten Tage richte ich mir mein Büro auf dem Hof ein und tippe in der Sonne ein paar Zeilen in den Laptop. So macht das sogar fast ein bisschen Spaß. In dieser Woche ging erst die paypal – Spendenaktion online und vor zwei Tagen auch endlich Startnext. Sieht gar nicht so schlecht aus. Man kann spüren, dass wir angekommen sind in der Stadt. Das WUK ist in den Köpfen und Herzen. Ich bin dankbar. Kurt Wabbel liegt neben mir auf der Bank, auch dafür bin ich dankbar. Sie hält keinen Abstand. (NT)

Freitag, 27.3.2020 Tag 15

Wir schreiben Briefe. Telefonieren. Ich bin zwar zu Hause, aber durch die fehlenden Ortswechsel nun mit einmal den ganzen Tagohne Unterbrechung in Videokonferenzen und Telefonkonferenzen. Man redet, man sieht sich selbst im Bildschirm (hört oder sieht die andern) und ist dennoch allein.

Mit meiner Familie so eng zusammen zu sein, ist nicht mein Alltag und irgendwie auch Vergnügen. Habe heute gewonnen, und verloren in Wizzard!

Die Gesamtsituation schafft es nicht ins Hirn, mir sind die Maßnahmen nachvollziehbar, alle im WUK Theater Quartier nehmen die Einschränkungen ernst, aus Solidarität, nicht aus Angst.

Wir schreiben Briefe, an potentielle Unterstützer auf Grund der Absage der Förderung 2020 vom Land Sachsen- Anhalt. Und bekommen sofort zusagen für die Unterstützung. Mal sehen, ob wir dann wenigstens für 2021 eine Änderung herbeiführen. Unser Spendenaufruf hat schon mehr erreicht als erwartet. Einzelspenden kommen in Höhe von 1000 €, 400 € , 250, 200 €, Wahnsinn! Dankbar. Großartig. (TW)

Donnerstag, 26. März 2020 Tag 14

Die Schlagzeile der Süddeutschen weckt auf. „Ein Bollwerk verweigerter Hilfe“. Die Grundsicherung für Selbstständige, die jetzt mit erheblichen Verdienstausfällen zu kämpfen haben, hat an ihrer bürokratischen Üppigkeit nichts verloren. Wird das so bleiben? Schafft es die Verwaltung alle Prüfungen durchzuführen oder kollabiert das System Hand in Hand mit dem Antragsteller? Ich frage mich, wie das zuständige Jobcenter in Halle mit dem stark erhöhten Andrang umgehen wird. 

Ich lege die Zeitung weg. Das Dorf ist still. Der Kaffee lauwarm.

Tom gibt ein Interview für den Kulturfalter und schildert die Situation im WUK.

Ein Banner soll die Fassade zieren. Lila (wie unsere schöne abgesagte #9 WBLCHKT) soll die Pause nicht bleiben. Wir beraten über eine Botschaft, ein Wort, eine Information.

15 Uhr Startnext geht online. Ein wichtiger Schritt ist getan. Danke an Sarah, die zwischen Lego-Helikoptern, Biberburgen und abendlicher Erschöpfung alles zusammen gebracht hat. Ich bin stolz auf unser Team und verbreite den Aufruf sofort in meinem Bekannten- und Kollegenkreis. Einige Spitzen kassiert man trotzdem immer. Warum ausgerechnet wir, wenn es allen schlecht geht. Eine open end Debatte. Man darf sich nicht anspitzen lassen, nicht den Mut verlieren.

Robert Voss schreibt uns, dass er ab morgen ein Original seiner Zeichnungen versteigern will. Zugunsten des „Herzblut“-Projekts WUK. Das ehrt und berührt.

Wir wollen einen Unterstützerbrief formulieren. Dazu tragen wir alle Förderer, Vertreter, Vereine aus Politik, Wirtschaft und Szene zusammen. Wie geht man da vor? Strategie ist gefragt, weniger Aktionismus. Morgen spreche ich mit Tom und Nicole dazu am Telefon. (EW)

Mittwoch, 25.3.2020 Tag 13

Mein Tag beginnt positiv. Anruf vom Kulturbüro. Es gibt eine erste Entscheidung sagt Frau M. Das WUK Theater Quartier wird mit Fördermitteln bedacht sein. Jetzt würden die Bescheide angefertigt und dann soll alles schnell gehen. Gute Nachrichten- Jetzt warten wir mal ab. Im WUK angekommen, sende ich meinen Antrag auf 400 € Soforthilfe ab. Es ist ein Tropfen auf heißen Stein, aber immerhin Miete oder Krankenkasse könnte ich dann zahlen. Ich werfe eine Münze, wenn es soweit ist. Im WUK Theater Quartier treffe ich Sven. Er hämmert und schraubt in seinem Lager und ist voller Staub. Ein kurzes Gefühl von Normalität und Betriebsamkeit stellt sich ein. Das ist schön! Wir trinken Kaffee mit Abstand und sprechen ganz kurz, bevor wir uns sicherheitshalber in entgegengesetzte Räumlichkeiten begeben. PUH PUH PUH. Danach telefoniere ich mit dem Landesverwaltungsamt. Irgendwann letzte Woche wurden all unsere Projektanträge abgelehnt. Wieder keine Förderung für das WUK Theater Quartier vom Land. Das ist jetzt noch katastrophaler! Wieder die gleiche Begründung: Keine höhere Priorität für das Land Sachsen Anhalt. Das habe ich letztes Jahr schon nicht verstanden, in diesem noch weniger. Am Telefon sagt man mir, dass man zur Zeit viel zu tun habe. Ich werde darum gebeten, meine Fragen schriftlich zu stellen. Also wieder schreiben….Wir brauchen Hilfe. Habe mich kurz mit Tom beraten. Wir brauchen UnterstützerInnen, die die Relevanz unseres Theaters für Sachsen Anhalt bestätigen. Es reicht offensichtlich nicht, wenn wir das selbst aufs Papier bringen. Es ist nicht nur ein Kampf gegen Einnahmeausfälle den wir heute führen. ….Vielleicht sollte ich doch beginnen Sport zu treiben. (NT)

Dienstag, 24.3.2020 Tag 12

Gedanken zum morgen: „Ich könnte weinen. Unlösbare Sehnsucht. Und in diesen Tagen zeigt sich, dass unsere Arbeit so fragil ist und dass die Zumutungen, welche wir als Freies Theater auf uns nehmen, ganz und gar nicht zukunftssicher sind. So viel an Beteuerungen. Bekundungen aus Politik und Verwaltung. Doch es fehlt an Planungsgewähr. Die Strukturen sind labil. Wir als Freie Künstlerinnnen und Künstler sind im Freien Fall. Und der Schatz, den wir glaubten, zu haben, entpuppt sich nun als eine nur durch unseren Traum haltende Idee. Wir werden arbeiten, doch haben wir uns an dieser dünnen Grenze zur Armut wohl zu leichtglaubend eingerichtet. Mir scheint, dass wir jetzt der Illusion in den Rachen schauen. Wir sind total abhängig von den Einnahmen. Bis jetzt fallen ca. 16 T Euro weg. Durch nichts im Moment zu kompensieren. Die Förderung des Landes und der Stadt setzen aber genau darauf, dass wir bis zu 80 Prozent bei einzelnen Veranstaltungen als Eigenmittel haben. In all der Dramatik um die Gesundheit, der Sorge um alle Erkrankten mischt sich Bitterkeit. Und existenzielle Sorge um alle Beteiligten in unserem Theater. Machen wir uns bereit. Auch uns als WUK Theater Quartier wird diese Zeit verändern.“ (TW)

Montag, 23.März 2020 Tag 11

Es klingelt. Zum Unterricht. Es ist verhältnismäßig früh. Der Hahn kräht, die Hühner picken im Haferstroh. Die Laufenten wackeln geschäftig über den Hof. „Willkommen in der Dorfschule!“ So begrüße ich grinsend meinen Sohn und strecke ihm heimische Hefte und seine Federmappe entgegen. Wenig Begeisterung. Strafender Blick. Den teils sadistischen Unterton hat sich meine zweite, neu erworbene Persönlichkeit selbst zugelegt. „Guten Morgen, Frau Weise!“ brülle ich fröhlich durch den Schulraum. Ja, Schulraum. Wir haben hier auf dem Hof ein eigenes Zimmer mit Tisch und Stuhl und Sonnenlicht. „Guten Morgen, Mama…“ , entgegnet er gelangweilt. Ich bin Lehrerin. Auf unbestimmte Zeit. Eltern-Chat, Skype-Termine mit der Klassenlehrerin, Online-Lernportale. Der Stoff muss rein in die Köpfe, auch wenn alles Äußere nicht mehr da ist. Keine Klasse, kein Klassenzimmer, keine Lehrerin. Kein Hausaufgabenheft, keine Hofpause, kein Anstehen zum Essen. Also wer bemüht, bezwingt den Nachwuchs dann zum Lernen, wenn eines der größten vom Staat durchdrungenen Systeme wegfällt? Die eigenen Eltern. Nach bestem Wissen und Gewissen. Unter Ausschluss unpädagogischer Unterrichtsmethoden. Das versteht sich.

Es geht los mit Deutsch. Ich erpresse jeden Satz mit unlauteren Mitteln. Die Frustration setzt schon nach kurzer Zeit ein. Mama will mich bestrafen. Das steht in unsichtbaren Buchstaben über jedem Satz. Das Schriftbild lässt zu Wünschen übrig. „Auch wenn es richtig geschrieben wäre: Wenn man es nicht lesen kann, ist es trotzdem falsch!“ Ich bin stolz auf meine Schlussfolgerung. Empfinde sie gleichzeitig als Genugtuung in einem falsch angelegten Wettbewerb. Er schreit. Die Fenster scheinen zu vibrieren. Der Füller fliegt durch die Gegend. Er springt auf, marschiert entschlossenen Schrittes auf die Tür zu, knallt selbige und ist verschwunden. Habe ich etwas falsch gemacht? Ja sicher, Geduld muss man haben. Und nicht alle Fehler gleichzeitig ansprechen. Das nimmt die Lernmotivation. „Aber wenn…!“, höre ich es in meinem Kopf sagen. Ruhig, ruhig. Cool bleiben. Ich bin befangen. Ich will, dass er es will. Ich will, dass er es versteht. Ich will, dass er selbständig an Erkenntnis gewinnt und sich eigenmächtig einen Vorteil verschafft. Durch vorausschauendes Denken sinnvolle Inhalte erarbeitet. Und dadurch Teil des Klassenverbandes bleibt. „Das nennt man auch blinden Gehorsam! Hör auf so zu denken!“ schreit der Anarchiemodus in mir. Gut, dass es den noch gibt. Nur kann er genau so wenig in Koalition mit meinen Ansprüchen !SCHRÄGSTRICH! elterlich rechtmäßigen Sorgen treten. Die Noten-Norm macht Druck. Ob man will oder nicht.

Es zerreißt mich. Dann steht mein Sohn vor der Tür. Entschuldigt sich, will es nochmal versuchen. Mit der Konzentration. Mit den Grammatik-Regeln, die ihm schwer fallen. Danach Mathe. Er stöhnt. „Na, in der Schule gibt es doch auch mehrere Fächer hintereinander!“, sage ich und bin mir meiner eigenen Ansage nicht sicher. Es ist doch so schönes Wetter draußen. Aber wir müssen doch…

Nach vielen Stunden Kampf und Versöhnung kann ich nun endlich ins meditative Kartoffelnschälen übergleiten. Und den vehementen Lehrer-Corpus ablegen. Ich bin erschöpft. Morgen wieder. Ab jetzt jeden Tag bis Mitte April. Oder noch länger? Wer weiß das schon genau. Ich kann auf jeden Fall mit allen schulpflichtigen Kindern und deren Eltern mitfühlen. Vielleicht bekommen wir ja alle unsere Vermittlungskompetenzen als Zusatz-Qualifikation im Notstand angerechnet? Das wäre eine durchaus diskutable Geste.

An meiner To-Do-Liste fürs WUK kann ich heute nur noch wenig arbeiten. Eine Telefonkonferenz mit Tom und Nicole steht noch an. Vorstandsangelegenheiten müssen besprochen und entschieden werden. Verträge. Anträge. Startnext. Unterstützerbrief. Ich schaffe es noch ZOOM auf meinem viel zu alten Computer zu installieren. Es ist immer noch schönes Wetter. Frechheit. (EW)

Sonntag, 22.3.2020 Tag 10

Es ist Sonntag. Ein sehr wichtiger Mensch hat heute Geburtstag. Normalerweise wäre ich jetzt dort. Heute spüre ich extrem, dass die Verordnung Auswirkungen auf mein direktes Privatleben hat. Andererseits hat die Kanzlerin gerade ein Kontaktverbot ausgesprochen. Treffen von mehr als 2 Personen außerhalb der Familie verboten! Ich bin froh, dass ich nicht allein wohne und ein paar soziale Kontakte so gesichert sind.

Auf meinem täglichen Weg ins Theater (auch am Sonntag hat Madame Kurt Wabbel Hunger) höre ich Podcast. 6 Regeln für die Quarantäne – abgeleitet von einem Typen, der längere Zeit mit mehreren Menschen in einem U-Boot verbracht hat. 1. Tagesroutine: …ist kein Problem. Ich schaffe es ungefähr zur gleichen Zeit aufzustehen (zumindest von Montag- Freitag), zu duschen, zu arbeiten, zu essen, zu arbeiten, mich abzulenken vom arbeiten, kurz oder länger zu prokrastinieren, wieder zur Arbeit zu finden. Alles wie auch sonst – ohne Corona. 2. Privatsphäre: ….davon hab ich schon fast zu viel. Es nervt mich inzwischen allein in meinem Homeofficezimmerlein zu sitzen oder allein im Büro, allein im Theater, allein unterwegs sein, allein allein allein. Mir fehlen die KollegInnen! Mir fehlt das volle Haus! Die Sehnsucht ist geweckt, noch schnurrt sie leise. 3. gutes Essen/ Ausgewogenheit zwischen Völlerei und Diät: Das funktioniert tatsächlich ganz gut. Seit Corona ernähre ich mich gesünder. Einerseits um die Abwehrkräfte zu stärken, aber auch überhaupt – regelmäßiger, ausgewogener, leckerer. Es wird viel gekocht, frisch – Fetzt! 4. Sport: … hab ich schon vor Corona nicht gemacht, das wird vermutlich jetzt auch nichts mehr! Obwohl: Gestern oder vorgestern hatte ich auf meinem Weg ins Theater, das Bedürfnis zu rennen. Ich habe mir sogar meine Laufschuhe aus dem WUK mitgebracht, die ich oft bei den Proben trage. Sie stehen jetzt ordentlich im Schuhregal. Das Laufbedürfnis ist schon wieder weg! 5) Putzen/ Ordnung: Oh ja! Problem! Mein privater Schreibtisch ist zugemüllt, die Ablage voll mit Zeug von dem ich nicht weiß, seit wann es da liegt. Hinter mir das Zimmer voll mit Klamotten, Zeitung, Bücher, Kram! Es ist ein Problem wenn der private Raum plötzlich Arbeitszimmer wird! Für mich zumindest. Ich werde aufräumen. Heute oder vielleicht auch erst morgen. Es ist Sonntag. 6) Perspektive/ Alles ist endlich….das lasse ich mal so stehen. (NT)

Samstag, 21. März 2020 Tag 9

Vielleicht leben wir ein Schattendasein. Treten als Clowns ins Licht. Gebraucht werden wir wohl nicht. Empfinde Zynismus und so etwas wie warme Wut. Der Staatsminister Rainer Robra verkündet: „Der Kulturbereich liegt derzeit völlig brach. Die in existenzielle Notlage geratenen Künstler können ab nächste Woche Hilfen beantragen.“ Es ist Hohn oder wohl nicht ernst  gemeint. 400 € monatlich an Soforthilfe in Sachsen- Anhalt möglich. Für zwei Monate. 400 €? Das ist ein Auftritt oder zwei. Ist wahrscheinlich nicht mal die Miete für jeden, der sich künstlerisch beruflich in dieser Stadt herumtreibt.

Darf man das sagen, dass es eine Frechheit ist. Wohl eher nicht, wir sind dankbar. Und schauen, was der wohlhabende Staat noch für die Kunst möglich macht.

Jetzt straft es sich, dass wir nur zwei Angestellten haben. Wir können kein Kurzarbeitergeld für alle 12 freien Mitarbeitenden beantragen. Hoffentlich bekommen wir alle geschützt durch diese Zeit.

Tobende See. Stille draußen. Wir werden das Schiff durch den Sturm bekommen. (TW)

Freitag, 20. März 2020 Tag 8

Es geht los. Die Stadt verlassen, bevor am Sonntag weitere Maßnahmen ergriffen und die Ausgangsbeschränkungen durchgesetzt werden. Auf dem Land kann man noch atmen, denke ich. Hoffe ich. Für unbestimmte Zeit. Wird es eine lähmende Krise? Eine unruhige? Oder eine sinnstiftende, induktive? Lange Urlaube und Auszeiten gab es wenige in den letzten Jahren. Jetzt denken sich die Gedanken anders. Ungewohnt und neu. Was wünscht man sich? Wie will man arbeiten? Knüpft man an oder knüpft man auf? Dröselt man jetzt die Maschen auf, denen man sich nicht widmen konnte? Was sind die Konsequenzen? Hält man das aus? Wo gibt es übereinstimmende Prioritäten? Welche Visionen tragen uns jetzt? Und überhaupt: Was wird die Welt interessieren nach dieser seltsamen Krise? Müssen wir danach alle in Therapie? Hände schütteln üben? Man kann hier viel schreiben.

Wir haben mit unseren bisherigen Projekten viel bewegt. Das steht fest. Wir haben das WUK Theater Quartier mit viel Leben gefüllt. Und wir haben uns dabei oft selbst vergessen. Vielleicht, um uns selbst zu vergessen? Soll, muss, will man sich schonen? Ist Arbeitsdynamik reformierbar? Oder eine der Gewohnheit anheim gefallene Organik?

Kopf aus. Man kann Dinge auch zerdenken, sage ich mir und schaue aus dem Autofenster auf die Rapsfelder der LPG.

Am Abend sind wir da. Am Ende der mittelsächsischen Welt. Ich sehe 3 Hunde, 5 Häuser, eine rosarote Sonne und 6 Polizisten. Sie alle warten am Wegesrand um uns zu begrüßen. Die Bäume sind zu alt Sie schweigen. Sie wissen schon alles. (EW)

Donnerstag, 19.3.2020 Tag 7

Eine Woche geschlossen. Ich bin heute schon recht früh unterwegs zum Theater. Ein Handwerker hat sich angekündigt – Wartungsarbeiten an der Kläranlage. Er kommt sehr überschwänglich auf mich zu, freundlich zieht er seine Hand zum Gruß. Ich sage schon aus der Ferne „Hallo“ und als er schon sehr nah ist: „Abstand halten“. Er bleibt abrupt stehen und lächelt: „Stimmt, stimmt.“ Wir wissen beide nicht so recht, wie man sich jetzt am besten begrüßt und stehen etwas unbeholfen voreinander. „Sie haben es ja auch nicht leicht zur Zeit,“ sagt er, „weil wir das Theater schließen mussten.“ Er sei froh, dass er noch zu uns dürfe, um die Wartung durchzuführen. Aufträge würden abgesagt. Im Januar und Februar wäre schon Flaute gewesen, weil Wetter bedingt nicht so viele Aufträge angenommen werden könnten und jetzt wo es losgehen kann – Corona! Er hat ein kleines Unternehmen. „Ich weiß nicht was das wird“, sagt er sichtlich besorgt… ich weiß es auch nicht, denke ich mitfühlend. Tatsächlich mitfühlend. Wir sitzen im gleichen Boot.- irgendwie. Ich würde ihm gern aufmunternd auf die Schulter klopfen, aber auch ohne Corona wäre das wohl unangemessen, für jemanden den ich erst 2 Minuten kenne. Wir machen uns beide an die Arbeit. Er draußen – ich drin. Nach 30 Minuten ist er wohl fertig. Kläranlage check! Er steigt in sein Auto und fährt wortlos davon. (NT)

Mittwoch, 18. März 2020 Tag 6

Wir sind nicht darauf vorbereitet. In vielerlei Hinsicht. Nach dem ersten Impuls in Aktivitäten unser Heil zu suchen, bin ich heute voller Sorge. was wird. Ich springe zwischen einem zuversichtlichem Gewappnetsein und dem ängstlichen Wirsinddaraufnichtvorbereitet. Und die Sorge für alle von unserem Betrieb mehr oder weniger wirtschaftlich Abhängigen. Wie gehen wir mit den laufenden Kosten um, wie mit den Zahlungspflichten der nächsten Tage. Wir finanzieren so viel aus dem laufendem Geschäft, den Projekten, den Nutzungen unseres Hauses. Und dann heute auch feststellen, dass wir in Probe wären mit Stefan Wenzel für die Produktion AUSREISE. War ja erst am 12.3. ins Haus zurück gekommen nach der Trauerzeit. Auch darüber müssen wir reden, wohin verschieben, es gibt im Moment gar keinen Platz für die Produktion später….(TW)

Dienstag, 17. März 2020 Tag 5

Im Kalender löschen. Im Kalender ändern. Im Kalender schieben. Auf unbestimmte Zeit? Wir hoffen, dass wir am Tag X wieder starten können. Nur wann wird der sein? Zunächst widmen wir uns dem digitalen Zeitalter. Das Alternativprogramm AUF SENDUNG wird von Nicole, Mereth und Tom gefüllt und mit einem Antrag untersetzt.

Sarah erfährt, dass die Kitas in Leipzig bis Mitte April schließen werden. Sie fragt sich, wann sie die nächsten fünf Wochen fürs WUK arbeiten kann. Ganz früh? Ganz spät? Gern hätte sie jetzt Tentakeln. Ich kann das gut nachvollziehen.

Juliane sendet Bilder. Und Worte. „(…) wie alltäglich der Frühling seine Fahnen hisst, zwitschernd, als ob nichts ist, nichts was wir sehen.“

Ich fasse den Entschluss Halle mehrere Wochen den Rücken zu kehren und das Weite zu suchen. Zu sehr fühle ich mich jetzt schon eingesperrt. Ich muss mich an die Video- und Telefonkonferenzen gewöhnen. Zu sehr bin ich an unsere konspirativen Runden gewöhnt. Werden sie ersetzbar sein? EW

Montag, 16.3.2020 Tag 4

Erster Tag im Homeoffice bzw. ich habe mich dazu entschlossen den Vormittag über von Zuhause zu arbeiten. Gestern Abend im WUK meinte Tom, dass es sein könnte, dass wir uns nun länger nicht sehen. Heute beschließen wir, dass es so sein wird!

10Uhr bin ich mit Elsa und Tom zur Telekonferenz verabredet. Ich suche in meinem Smartphone nach dem Button Konferenz…es gibt ihn nicht. Stattdessen sendet mit Tom eine Nummer mit der Vorwahl Wuppertal und den passenden PIN. Wuppertal…denke ich. Wuppertal liegt im Ruhrgebiet…mehr weiß ich nicht über Wuppertal! Länger kann ich auch gar nicht darüber nachdenken, denn wieder müssen wir Entscheidungen treffen. Wir schließen das WUK Theater Quartier komplett. Keine Proben, keine Werkstätten, keine Arbeitstreffen, Veranstaltungen eh nicht! Auch wir wollen die Kontaktketten möglichst unterbrechen. Also keine persönlichen Kontakte, wenn es auch anders geht. Die einzigen zwei Menschen, die das WUK ab jetzt betreten werden, sind Sven und Ich. Ich verstehe unsere Entscheidung rational und sachlich. Sie ist konsequent! Es gibt immer mehr Infizierte, Dunkelziffer nicht bekannt! In Halle sind es inzwischen 19. Innen wühlt mich das Schließen trotzdem auf. Das hat so etwas von Apokalypse. Die Schotten dicht machen, abschirmen, alles auf Standby. Abwarten. Ausharren….nur weniger passiv! Das können wir uns nicht leisten. Elsa, Tom und ich besprechen weiter den Ernst der Lage. Die Stadt hat noch immer keine Entscheidung zur Fördervergabe 2020 getroffen. Für uns heißt das, dass wir schon seit drei Monaten ohne Förderung arbeiten. Drei Monate. Nun können wir nicht einmal mehr durch Einnahmen unser Zahlungsdefizit kompensieren. Der Virus trifft uns akut und intensiv. Wir besprechen Handlungsmaßnahmen. 1. Brief an die Stadt schreiben – Hilfe fordern – Jetzt! 2. Die Mitarbeitenden/ Partner*innen informieren – Homeoffice für alle verordnen – Termine absagen, verlegen, digital stattfinden lassen. 3. Paypal und Startnext starten Hilfsprogramme für Kunst- und Kulturschaffende- informieren – Texte und Videos vorbereiten – online gehen! 4. Antrag vorbereiten AUF SENDUNG- digitales Ersatzprogramm während der Pandemie. 5. Sich solidarisieren mit anderen Kunst- und Kulturschaffenden der Stadt.
Viel zu tun – Laptop auf – loslegen! Gegen Nachmittag bin ich im WUK- fast allein! Madame Kurt Wabbel begrüßt mich mit ihrem fordernden, leicht vorwurfsvollen Miauen. Ich bändige den Hunger des Tieres, dann geht sie spazieren. Ich gehe in den Keller und arbeite weiter im Büro. Startnext verlangt ein Video! Ich schnappe mir mein Telefon, im Saal steht noch ein Kamerastativ, dass wir für die Liveschaltungen verwendet haben. Mit Klebeband fixiere ich mein Smartphone am Stativ, stelle es auf einen Rolltisch und beginne meine Kamerafahrt durch das Haus. Kurt Wabbel nutzt die Gunst der Stunde und läuft durch das Bild. Endlich darf sie auch mal mitspielen. 20Uhr verlasse ich unser schönes Haus. Eigentlich fast alles wie immer. Ich komme morgen wieder- allein! NT

Sonntag, 15.3.2020 Tag 3

Wir werden den Kopf nicht in den Sand stecken. Nach der Beratung am Freitag mit so vielen Ideen bin ich tatendurstig. Wir wollen die Leere zeigen. Die Abwesenheit. Ein Livestream mit dem leeren Saal. Das Nix passiert. Und es hat wirklich etwas Inspirierendes. Dann Aktionen einzelner Personen. Gestern Lesung mit Juliane, Heute wird Benni aktiv sein. Wir bereiten in allem Abstand die Aufnahme vor. Samuel hilft, Benni mit Spiellust. Der leere Saal ist traurig. Bleibt traurig. Benni legt eine Performance hin über das Kehren. Irgendwie lustig. Auch mit den kleinen Kommentaren aus dem Livestream, welche dann Samuel in den Saal spricht. So wie eine Verweigerung von dieser temorären Schließung. So als ob man als Angehörige den zeitweisen Tod nicht akzeptiert und mit dem ohnmächtigen Onkel dennoch weiter Skat spielt. Etwas hilflos. Weil wir keinen Zugriff auf die ästhetischen Dimension unser Aktion haben. Da sind wir Laien. Liebenswerte Laien. Im Nachgang ändern wir den Plan, wir wollen erst einmal das Konzept und dann unsere Mitarbeitenden absichern, dann versuchen Mittel zu organisieren, Förderer zu finden und dann das Ersatzprogramm AUF SENDUNG starten. (TW)

Samstag, 14.3.2020 Tag 2

Bis 12Uhr habe ich mir eine Pause eingeräumt vom Denken, vom: wie geht es weiter? 14Uhr bin ich mit Samuel und Karolin verabredet. Krisengespräch 3. Im Dezember haben Karolin und Ich mit den Proben zu „Ja heißt ja und…“einem Text von Carolin Emke begonnen. Auseinandersetzung mit #metoo! Erst am Mittwoch kam Samuel als musikalische Stütze dazu. Das Team fühlt sich komplett an, dachte ich da. Geplante Premiere 3.4.2020. Das ist der Grund unseres Treffens. Wir müssen eine Entscheidung treffen. Premiere ja oder nein und wenn ja wie…ohne Publikum!

Nach unserem Gespräch gestern in großer Runde, waren wir uns einig. Wir vermuten eine Verlängerung des Veranstaltungsverbotes auch nach dem 27.3.20, das heißt wir gehen davon aus, dass wir das gesamte Kapitel #9 absagen werden- damit auch die Premiere! Die Option „vielleicht spielen wir doch wie geplant“, habe ich also schon gestrichen und gehe daher eher trübselig in die Besprechung. Samuel, Karolin und ich sitzen auf dem Hof in der Sonne. Wir haben Ideen: die Krise als Chance begreifen, etwas vollkommen Neues machen, das Stück umschreiben (Livestream, Selfistick, Hörspiel usw.) dann aber wieder Zweifel: Verrat an der bisherigen Arbeit, Verrat an der Idee, am Text selbst! Nach 2h reden, sprechen wir mit Tom. Die Entscheidung wird nicht leichter, die Gedanken aber klarer. Ja heißt ja und…ist ein Theaterabend mit Publikum! Alles andere, alle anderen Gedanken – ein anderer Abend, der wahrscheinlich nicht schlechter und sicher auch spannend wäre, der aber nicht viel übrig ließe von der eigentlichen Idee! Wir beschließen: Die Premiere wird verschoben auf unbestimmte Zeit, die Arbeit ab diesem Moment unterbrochen_beendet! Mir ist kalt. Benjamin ist irgendwann zu uns gestoßen. Er und Tom besprechen den heutigen Livestream. Mein Plan für heute war Abenddienst für Folk Fiction. Ich bin verunsichert. Tom bittet mich zu bleiben, ich bleibe und bin froh nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, was ich mit meiner neu gewonnen Zeit anfangen soll. (Wie merkwürdig das klingt, darüber muss ich nachdenken!) Juliane wird angerufen: „Würdest du heute im ersten Livestream auftreten“ fragt Tom. 1,5h später ist sie da. Mereth bereitet unser erstes Aufnahmeschild vor #aufsendung #wuktheaterquartier 14.03.2020 20Uhr Juliane Blech liest: Tagbuch einer Eintagsfliege. Unsere Kamera ist Mist! Juliane Gesicht ist total überblendet- unsere gespenstische Erscheinung aus dem leeren Saal…naja passt eigentlich. Der Ton ist aber ganz gut. Ich schaue vom PC im Büro unten zu, lausche und bin etwas versöhnt mit dem Abend. Auf facebook sehe ich wenn Leute einschalten. Wenige…aber sie schauen. Gute Arbeit Juliane. Danke wohlgesonnene Freunde. Ich merke: Wir sind nicht allein. NT

Freitag, 13. März 2020 Tag 1

Viele Themen drängeln sich vor, wir versuchen als Vorstand zunächst die momentane Situation zu fassen. Bis 19. April wird es keine Veranstaltungen geben. Nur zwei Personen sind befugt das WUK Theater Quartier zu betreten. Das Kapitel #9 WBLCHKT wird vollständig abgesagt. Abgesagt? Eine wunderbar reiche Spielzeit einfach so abgesagt? Da sind wir schon beim ersten Punkt. Können wir sie nicht verschieben? Nur wohin? Dahin, wo schon die Planungen für #10 IDENTITÄT gesetzt wurden? Das muss abschließend die künstlerische Leitung in Absprache mit den kuratierenden MitarbeiterInnen abwägen. Klar ist trotzdem, dass es in jedem Fall Verlust bedeutet. Verlust von Kontinuität, Verlust wichtiger gesellschaftspolitischer Zielsetzungen und künstlerischer Diskurse. Verlust eines Kapitels, dessen Themensetzung unabhängig von allgemeiner Brisanz als Wunsch aus den eigenen Reihen formuliert wurde. Verlust guter Tage, Abende, der Geselligkeit, des Austauschs, des Wachsens.

Nun heißt es für uns neue Wege gehen. Das klingt gut, gibt es jedoch nur einen einzigen Weg. Ein virales Kulturformat. Ein Programm, das berührt ohne anzufassen. Ein Zeichen, dass man existiert und nicht vegetiert. Dass Einschränkungen im besten Fall Möglichkeiten und Entfaltungen bergen.

Zunächst die Wunschrunde. Ideen rieseln. Was braucht die Publikumswelt?

  1. Einen 24-tägigen Karenzkalender mit Türchen? Jeden Tag eine andere im WUK? Die Social Media Plattformen werden sich füllen in den nächsten Wochen.
  2. Instagram-Stories mit fiktiven Charakteren, schlägt Benjamin vor. Eine Rallye durchs Haus oder sowas.
  3. Einen Live-Ticker, für Veranstaltungen, die nicht stattfinden, für Schauspieler, die sich nicht umziehen, für Personal, was nicht kommen darf, für Publikum, was kommen würde, es aber nicht darf.
  4. Webinare, in denen der gemeine Homie Sapiens bei unserem Experten Herrn Stelbrink Trompete lernen darf. Bei Mangel an Blechblasinstrumenten könne man dann auch Gebrauchsgegenstände aus dem Haushalt benutzen.
  5. DVDs mit Theaterbeiträgen ins Altenheim über die Saale schnipsen. Oder gleich eine Fensterbrett-Aktion vor der Einrichtung ausrufen. „Nee!“ sagt Tom. Zu Recht. Einzig und allein die Möglichkeit von Menschenansammlungen wollen wir vermeiden. 
  6. Eine Audio-Führung durchs leere Haus. Silence is sexy. Hm naja.
  7. Live-Streams auf der Bühne.
  8. Auf einige Beiträge einigen wir uns zunächst, wenn auch die einzelnen Konzepte noch nicht untersetzt erscheinen. Ein #Corona-Tagebuch wird es geben, in dem wechselnd von Tom, Nicole und Elsa über Aktivitäten des WUK-Teams berichtet werden soll. Eine spezielle Video-Premiere für die Inszenierung JA HEIßT JA, UND… mit Karolin Benker, Nicole Tröger und Samuel Mager soll es im April zu sehen geben. Und das Format FUTUR soll als virtuelles Theatererlebnis gezeigt werden und wird von den AkteurInnen neu bearbeitet. Auch soll es dazu eine erweiterte Ausschreibung geben, die Sarah Peglow vorbereitet.

Wir verabschieden uns das letzte Mal mit kaffeeschwitzigem Händedruck und Umarmungen. Wir wissen nicht, wie lange die Krise dauern wird. Nicht nur wir, sondern auch die Theaterkatze Madame Kurt Wabbel wird sich daran gewöhnen müssen.    EW              

Donnerstag, 12. März 2020 Tag 0

Wir stehen aufgeräumt und voller froher Erwartung auf Sebastian Weber im Hof des WUK Theater Quartier. Er kommt zum ersten Gastspiel in Halle mit der Sebastian Weber Dance Company und der Produktion FOLK FIKTION.  Schon seit einer Woche findet unser 9. Kapitel statt #wblchkt. Erstmals mit Gerda. Erstmals mit Sven, es ist eines der spannendsten Programme, welches wir auf die Beine gestellt haben.

In den nächsten Tagen. Dann eine Nachricht, Pressekonferenz des OB. Ich gehe auf dem Hof hin und her und höre mir die Pressekonferenz an. Unterlassung aller öffentlichen Veranstaltungen. Ab wann? Ab dem 13.3., ich verstehe, will aber sofort wissen, was dies genau heisst. Ab wann ist das gültig. Ich informiere Elsa und Nicole. Wir sprechen kurz und müssen entscheiden. Sebastian Weber kommt auf dem Hof, sie haben gerade für die Vorstellung morgen begonnen Material in den Saal zu tragen, aufzubauen. Er fragt, was jetzt ist, eine Kollegin steht am Gate in London und betritt gleich den Flieger…. Entscheidungen. Wir müssen festlegen, obwohl noch nicht klar ist, ob es eine rechtsgültige Allgemeinverfügung ist, dass die Vorstellungen am Freitag und Samstag abgesagt sind.

Sebastian Weber und die beiden aus seinem Team packen ihre Sachen wieder ins Auto, wir umarmen uns. Mit Wünschen, dass wir uns bald sehen…. Denkwürdiger Abschied.

Unser Vorstand trifft sich, Nicole, Elsa und ich beraten, was nun zu tun ist. Unsere Gäste informieren, die Mitarbeitenden, Vorbestellungen absagen, was wird mit den weiteren Vorstellungen; der Oberbürgermeister sprach von einer Frist bis 27.3.2020. Viel zu kurz um geordnet Entscheidungen zu treffen. Wir erhalten keine konkreten Informationen aus der Verwaltung. Erst später wird klar, dass die Allgemeinverfügung wohl erst zum Sonntag wirksam wird, da rechtliche Wirksamkeit eine Veröffentlichung derselben voraussetzt.  Wir werden morgen weiter beraten.

Eine erstmalige Situation. Wie verhält man sich. Untersagung. Nachvollziehbar. Und wir werden damit umgehen können. Müssen.

Am Abend entscheiden wir uns für Freitag das gesamte Team des WUK Theater Quartier zu einer Besprechung einzuladen. Krisensitzung. TW